Kapitel 17
Das Wissen, wie unendlich viele Tiere im Versuch ihr Leben lassen mussten, hat mich sehr beschäftigt und traurig gemacht. Ich habe mit einigen Wissenschaftlern gesprochen. Alle waren höflich, hatten Verständnis für meine Argumente, aber von ihrer Meinung wichen sie nicht ab.
Einige Tiere konnte ich immer wieder retten, bevor sie im Labor landeten. Volle Unterstützung hatte ich von Frau Rethorn, die mir immer wieder "Rückendeckung" gab!
Wie kann man Tiere aus dem Labor bekommen, bevor sie im Versuch waren? Mit Mut, Wagnis , Glück- und Frau Dr. M., die im Giessener Institut arbeitet, wo der Tierstall befand.
Als ich den ersten Kontakt mit ihr bekam, schlug ihr bestimmt eine "eisige" Kälte von mir entgegen. Ich wollte nicht mit einer Frau sprechen, die in einem Versuchslabor arbeitete. Ich habe meine Meinung jedoch schnell geändert. Wir haben lange Gespräche geführt. Ich habe verstanden, dass sie nichts ändern oder genehmigte Versuche verhindern konnte. Sie hat sich dafür aber eingesetzt, dass es den Tieren gut ging, bis der Tag des Versuches kam. Bis dahin gingen Studenten mit den Hunden spazieren und kümmerten sich liebevoll um die Katzen.
Ich durfte die Versuchstiere besuchen. Es war immer ein schwerer Weg, mein Herz hat geblutet. Ich habe gespürt, dass auch Frau Dr. Merker mit sich zu kämpfen hatte. An einem Abend stand ich vor den Katzenkäfigen. Die meisten der Katzen war scheu bis wild. Man konnte den Stallgeruch noch wahr nehmen. Es waren wahrscheinlich Bauernhofkatzen. Eine Katze jedoch saß mit großen Augen im Käfig und maunzte leise. Sie war gepflegt und suchte offensichtlich Kontakt. Ich durfte die Katze auf den Arm nehmen. Sie schmiegte sich eng an mich und fing leise an zu schnurren. Diese Katze hatte einmal eine Familie, da war ich sicher. Ich dachte an die vielen Familien, die verzweifelt ihre veschwundenen Katzen suchten.
Ich verachte diese miesen Typen, die nachts durch die Dörfer streifen, Katzen anlocken und einfangen mit dem Ziel, sie an Labortierhändler oder gleich an Labore zu verkaufen. Sie brachten Trauer in die Familien und den Tieren den Tod. Diese Katze auf meinem Arm, das war so ein unglückliches Geschöpf! Frau Dr. M. und ich schauten uns an- und hatten den gleichen Gedanken. Dieses Tier muss hier raus. Aber wie? Die Tierställe waren im obersten Geschoss. Wir mussten mit dem Fahrstuhl nach unten- und das Gebäude wurde von einem Nachwächter bewacht. Und einen Transportkorb hatte ich auch nicht. Ich blickte auf die Katze, die ruhig und entspannt in meinem Arm lag. Ob sie mich verstand, als ich zu ihr sagte: "Miezekatze, jetzt geht es um Dein Leben. Bleibe ruhig, tue so, als seist Du gar nicht da." Ich stopfte die Katze unter meine Jacke, Reißverschluss zu- und ab in den Fahrstuhl. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, Frau Dr. M. erging es wahrscheinlich nicht anders. Als wir aus dem Fahrstuhl stiegen, klopften unsere Herzen nicht - sie blieben stehen.
Der Nachwächter wollte in den Fahrstuhl einsteigen. Er grüßte freundlich und fing mit Frau Dr. M. ein Gespräch an. Mucksmäuschen still war die Katze. Ich verabschiedete mich schnell und murmelte- ich habe einen Termin und muss schnell weg! Ich ging zur Eingangstür- verschlossen. So werden Minuten zur Ewigkeit- und die Katze unruhig.
Alles ging gut, Frau Dr. M. schloss auf und wir eilten zu meinem Auto. Als hätte die Katze gewusst, dass die Gefahr vorbei war, kam sie aus der Jacke gekrabbelt und fing sofort wieder an zu schnurren. Wir fuhren ins Tierheim und schrieben eine "Fundtieranzeige"! Katze gefunden im Aulweg in Giessen.
Das war der Beginn einer Freundschaft zwischen Frau Dr. M. und mir. Bei jeder neuen "Lieferung" von Tieren rief sie mich an, um die Tiere anzuschauen, ob evtl. ein vermisstes Tier dabei war. Immer wieder konnte ich einen Hund oder eine Katze übernehmen, deren Verhalten eindeutig bewies, dass es Haustiere waren, die auf unseriöse Weise in die Hände von Händlern gekommen waren.
Es wurden viele Briefe an zuständige Behörden und Politiker geschrieben, dass die Beschaffung von Versuchtstieren auf diese Art geändert werden müsse. Hinter einem gestohlenen Haustier steht eine Familie, alte Menschen und Kinder, die über den Verlust ihrer Tieres mit großer Trauer und ohnmächtiger Wut reagieren. Hilflos mussten sie den Verlust ertragen.
Eine Gesetzesänderung machte dem Treiben ein Ende. Die Belieferung der Labore auf diese Art wurde verboten, eine Annahme von Versuchtieren aus unklaren Quellen strafbar.
Versuchstiere wurden jetzt gezüchtet. Katzen wie auch Hunde, die gekennzeichnet und als Versuchstiere erkennbar waren. So ist es bis zum heutigen Tag.
Leider wird es noch ein langer Weg sein, auf Versuchstiere zu verzichten und mit Zellkulturen zu arbeiten. Die wissenschaftliche Freiheit ist ein höheres Gut als der Tierschutz. Diese Meinung teile ich nicht.
Frau Rethorn und ich wollten unbedingt einen Labortierzüchter kennen lernen. Wir bekamen Kontakt zu einem Züchter im Frankfurter Raum. Er züchtete Beagle, Labradore, Mischungen aus diesen beiden Rassen und Schäferhunde. Bis zu Tausend Tiere umfasste sein Bestand.
Herr E. war das Gegenteil von den üblen Versuchstierbeschaffern , mit denen ich zu tun hatte. Wir konnten gar nicht verstehen, dass der gebildete und freundliche Mensch diesen Beruf ausübte. Er sah die Welpen auf die Welt kommen, zog sie groß und brachte sie im Alter von ca. sechs bis acht Monate in die Labore.
Für mich unvorstellbar! Viele sachliche Gespräche wurden geführt. Er akzeptierte unsere Einwände. Sein Gegenargument war: "Ihr esst doch auch Fleisch. Diese Tiere wurden extra für den menschlichen Verzehr gezüchtet und getötet. "
Diese Diskussionen haben wir nicht fort geführt, es wäre sinnlos gewesen. Wir konnten einigen Tieren nur helfen, wenn wir höflich blieben. Herr E. hat uns versprochen, "überzählige" Hunde ins Tierheim zu bringen. Wir konnten das nicht glauben, aber er hielt Wort.
Mehrmals im Jahr bekamen wir die "Überproduktion"! Das war immer ein toller Tag im Tierheim, wenn die Glückspilze ankamen. Wir haben den Kontakt zu Herrn E. über Jahre gehalten. Nach dem Fall der Mauer baute ein großes Pharmaunternehmen seine eigene Zuchtanlage in einem neuen Bundesland. Der größte Abnehmer von Hunden fiel weg und machte das Geschäft für Herrn E. unrentabel. Außerdem war er in einem Alter, in den Ruhestand zu gehen.
Frau Rethorn rief mich eines Tages an- und es war einer der freudigsten Mitteilungen, die sie mir machte! Herr E. hatte sie gefragt, ob er dem Tierheim den Restbestand seiner nicht verkauften Hunde schenken darf.
Und ob er das durfte! Wir dachten an 10 bis 20 ältere Hunde. Weit gefehlt! Über 100 !!! Hunde kamen in mehreren Transporter ins Tierheim gefahren. Es hörte gar nicht mehr auf! Das ganze Tierheim was voller Beagle! Und einige Beaglemischlinge und Schäferhunde kamen am nächsten Tag noch dazu! Wir standen fassungslos zusammen- keiner schämte sich seiner Tränen! Wir lagen uns in den Armen und heulten vor Glück! Dieses Gefühl der Freude kann man nicht beschreiben! Es waren keine Todeskandidaten mehr, alle würden Familienhunde werden. Viele der Beaglehündinnen waren tragend! Manchmal dachten wir, das schaffen wir nie! Aber das tolle Personal hat jede Hürde gemeistert! Es war eng in den Zwingerunterkünften! Und die Ausläufe voller Beagle! Den fröhlichen Tieren beim Spielen und Toben zu zu schauen, lockte viele Besucher an. Jetzt hieß es nicht mehr bei den Tierfreunden: wir gehen heute ins Tierheim, jetzt hieß es: komm wir besuchen mal die Beagle im Tierheim. Dank der Hilfe von Presse und Fernsehen wurden die Tiere zügig in beste Hände vermittelt!