Kapitel 18
Je bekannter der Tierschutzverein wurde, umso mehr Politiker wurden auf den Tierschutz aufmerksam. Natürlich geschah das nicht ohne Eigennutz. Tierfreunde und Tierfreudinnen waren Wähler! Sich mit Tierschützern in der Presse zu zeigen, bringt Stimmen.
In der Bevölkerung bekam der Tierschutz einen immer höheren Stellenwert. Das blieb auch der Politik nicht verborgen. Mir persönlich waren die Gründe egal, wenn die Politik Möglichkeiten schaffte, vernünftige Gesetze zu machen, die den Tieren half!
Mein Hauptaugenmerk war, dass sich die Politik bewegte und die Forderungen der Tierschützer Beachtung fanden. Es wurde höchste Zeit, dass tierschutzwidrige Behandlungen der Tiere nicht mehr als Kavaliersdelikt angesehen wurde.
Es hat viel Kraft und Überzeugungsarbeit gekostet, dass Politiker überhaupt eine Einladung zu einer Podiumsdiskussion annahmen. Die Themen der Gespräche waren vielfältig, trotzdem lag und liegt bis zum heutigen Tag viel im Argen. Denken wir nur an die Haltungsformen großer landwirtschaftlicher Betriebe. Man passt die Größe der Unterbringung von Hühnern, Schweinen und Kühen nicht den Bedürfnissen der Tiere an, nein- man amputiert sie, um Verletzungsgefahren zu minimieren! Rinder haben keine Hörner mehr, da durch Abbrennen das Wachstum verhindert wird. Die Leistungsanforderungen an die Kühe immer mehr Milch zu geben, kostet die Tiere ihre Gesundheit. Wurden Kühe in früheren Zeiten 10 Jahre und mehr alt, landen sie heute schon ab drei Jahre beim Schlachter.
Ferkel werden auch heute noch unbetäubt kastriert, die Schwänze werden ihnen abgeschnitten. In der qualvollen Enge des Stalles und aus Langeweile fressen sie sich die Schwänze ab und können zu Kanibalen werden.
Die Muttersauen stehen in "lebenden Särgen", zu Unbeweglichkeit verdammt. Sie können sich hinlegen und aufstehen, Umdrehen unmöglich. Vor Verzweiflung und Langeweile kauen sie stundenlang an den Gitterstangen. Kontakt zu ihrem Nachwuchs haben sie nicht. Durch ein Gitteer sind sie von den Ferkeln getrennt. Keine Sau würde ihren Nachwuchs erdrücken. Jedoch in einer Unterkunft, nicht größer als der Körper der Muttersau, ist ein Körperkontakt nicht möglich.
Und das alles ohne Stroh, sondern nur auf Gitterrosten, wo Kot und Urin abfließt. Arbeitserleichterung nennt man das. Wie die Tiere dabei fühlen- wenn interessiert das.
Hühnern kürzt man die Schnäbel, damit sie sich nicht gegenseitig Verletzungen zufügen vor Frust. Kein Huhn mit artgerechtem Platz würde dies tun.
Kahle Elendsgestalten sind nach einem Jahr unrentabel und krank. Dann wird das Tier zum Suppenhuhn und tritt seinen Weg zum Schlachthof an, um im Akkord vom Leben in den Tod befördert zu werden.
Der Mensch will viel Putenbrust. Der Verbraucher hat die Macht- so werden den Puten eine Brust angezüchtet, dass sie, je näher das Schlachtgewicht rückt, nicht mehr aufstehen können. Sie verlieren das Gleichgewicht und kippen nach vorne. Sie sind so dicht an dicht eingestallt, dass ein Einzeltier keinen Platz hat zum Laufen. Ich habe einmal einen Putenmastbetrieb gesehen und den Anblick dieser Geschöpfe nie mehr vergessen.
Und die Politik? Sie redet und redet und redet. Wir müssen und müssten und werden- ja sie werden- nichts tun.
Als das Tierschutzgesetz Verfassungsrang bekam, war es zunächst eine große Freude- die schnell der Ernüchterung wich. Es ist ein Stück Papier, mehr nicht. Es hat sich nichts geändert- nichts! Der Traum, dass die grauenvollen Schlachtiertransporte, bishin in Übersee, endlich gestoppt werden , ist zerplatzt wie eine Seifenblase.
Generationen von Polikern und Politikerinnen schwingen hoch trabende Worte. Es hat keine Änderungen gegeben. Und es wäre doch nur eine einzige Änderung nötig, die das Elend und die Qual der Schlachttiere- lebende und fühlende Wesen, beendet würde.
Am nächstliegenden Schlachhof muss geschlachtet werden. Tranportiert wird in Kühlwagen Fleisch und keine lebenden Geschöpfe, die leiden und Todesangst haben.
Von April 1995 bis April 1999 war Barbara Stolterfoth Staatsministerin.
Der Tierschutzverein hatte eine Mammutaufgabe gemeistert, über die berichtet wurde in den Medien. Die hessische Tierschutzbeauftragte Dr. Madeleine Martin bedankte sich sehr für die geleisetet Arbeit und besuchte uns zusammen mit der Ministerin. Sie kamen nicht ohne einen Scheck.
Was war geschehen? Ein Mann, ca. 100 km von Giessen entfernt, hatte in großem Stil Hunde gezüchtet. Dies war völlig aus dem Ruder gelaufen, er hatte die Kontrolle verloren.
Kein Verein in der Nähe traute sich an die Sache heran. Hätten wir gewusst, was uns dort erwartete- vielleicht hätten wir auch gezögert.
Es hieß von dem dortigen Amtveterinär, dass es viele Hunde sein sollen. Also fuhren wir mit mehreren Autos und Helfern los. Mein 7. Sinn war richtig, als ich Frau Rethorn bat, mit ihrem Betäubungs-Pusterohr mit zu fahren .
Schon bei der Ankunft zeigte sich, dass dieser Mann sehr ungehalten und bedrohlich war. Er wollte weder uns noch den Veterinär auf sein Grundstück lassen. Die Polizei rückte mit mehreren Autos an und wir betraten unter deren Schutz das große Grundstück.
Was wir dann sahen, machte uns sprachlos. Das Grundstück war eine Müllhalde , übersät mit Knochen und vergammeltem Fleisch, voll mit Fliegen . Der Geruch war unerträglich.
Beim Betreten sahen wir viele Hunde, die plötzlich alle wie vom Erdboden verschluckt waren. Und das waren sie tatsächlich, denn die Tiere hatten tiefe Löcher in die Erde gegraben. Dort hinein waren sie geflüchtet.
Die Fangaktion war grauenvoll- für uns und für die Tiere. Kein Hund ließ sich anfassen, auch nicht die Welpen. Mit Fangschlingen mussten wir die armen Hunde aus den Löchern zerren. Manche benahmen sich so panisch, dass das Blasrohr zum Einsatz kommen musste. Stunden um Stunden vergingen, bis wir alle Hunde hatten. Es waren in der Tat fast 40 Tiere in allen Größen und Altersklassen.
Ein Polizeiauto mit sehr netten Beamten blieb die ganze Zeit bei uns. Sie hatten starke Lampen zum Ausleuchten der Höhlen. Wir wollten sicher gehen, dass wir alle Hunde gefunden hatten.
Bevor wir schmutzig und völlig entnervt die Heimfahrt antraten, mussten wir noch durch das Haus gehen. Dafür gab es keinen Gerichtsbeschluss und der Mann ließ uns nicht herein. Dem einen Polizeibeamten jedoch gelang es, sich Zutritt zu verschaffen. Was für ein Glück, denn er fand noch eine Hündin mit frisch geborenen Welpen.
Losgefahren waren wir mit einem Konvoi von sechs Autos. Schnell haben wir gewusst, der Platz reicht nicht für den Transport ins Tierheim. Ein tolles Team kann organisieren und weitere Tierschützer kamen zur Hilfe.
Im Tierheim angekommen war alles vorbereitet für die Unterkunft der verschreckten Tiere.
Dann kam der nächste Schock. Während der Fangaktion hatten wir keine Zeit, die Tiere näher in Augenschein zu nehmen. Wir erkannten trotz des verwahrlosten und schmutzigen Zusandes, dass es sehr schöne Tiere waren in der Farbe blue merle in unterschiedlichen Farbvarianten.
Da sich die Tiere über Jahre gedeckt hatten, war fast eine Rasse entstanden, die sich sehr ähnelte.
Bei genauer Betrachtung sahen wir nun, dass mehrer Hunde Augendefekte hatten. Einige waren blind, manche hatten gar keine Augen angelegt, manche machten die Augen nicht auf. Es war schreckich! Frau Rethorn klärte uns auf, dass blue merle ein Gendefekt ist. Es gehört sehr viel Fachwissen dazu, diese Farbe zu züchten.Später haben wir bemerkt, dass einige Hunde taub waren, ebenfalls ein Gendefekt.
Frau Ministerin Stolterfoth interessierte sich sehr für diesen Fall und hörte uns aufmerksam zu. Sie war mit uns einer Meinung, dass sich im Tierschutz viel ändern muss. Frau Dr. Martin erklärte, dass sie schon unendlich viele Gespräche geführt hatte, aber kein längst fälligen Ergebnis erreichen konnte.
Und so ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Worte ohne Taten!
Laut Tierschutzgesetzt sind Qualzuchten verboten. Wenn man sieht, mit welchen Qualen manche Rassetiere durchs Leben gehen, fragt man sich, warum es ein Tierschutzgesetz gibt, wenn dennoch alles erlaubt ist. Solange es Menschen gibt, die Qualzuchten kaufen, weil sie etwas ganz Besonders und Ausgefallenes wollen, solange wird es Züchter geben, die Wünsche erfüllen und weiterhin Tiere anbieten, die ein Leben mit Schmerzen und Leiden führen müssen.
Für mich und viele andere Tierschützer heißt es, weiterhin kämpfen und den Mund nicht halten, um Tieren zu helfen.
Trotz all der körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen dieser Hunde ist es gelungen, für alle Tiere ein Zuhause zu finden.
Für den "Züchter" wurde ein Tierhaltungsverbot ausgesprochen und Überprüfungen fanden regelmäßig statt.