Kapitel 42
Cindy - das erste Tier der Tieroase Heuchelheim!
Als ich als Vorsitzende des Tierschutzvereins Giessen mein Amt zur Verfügung stellte, sollte nach 25 Jahren Tierschutz mit viel Verantwortung für mich Schluss sein. Was eine Freunde und Tierschutzwegbegleiter voraus gesagt hatten- ich konnte es nicht!
Was tun?
Mit meiner lieben Freundin Manina gründeten wir im Oktober 2005 die Tieroase Heuchelheim.
Meine Tochter erklärte sich bereit, die Tierschutztiere in ihrer Praxis zu betreuen.
In aller Ruhe sollten Gleichgesinnte gesucht werden, die in häuslicher Atmosphäre Hunde und Katzen bis zur Vermittlung betreuen.
Doch wie das im Tierschutz so ist- Ruhe gibt es keine. Kaum war bekannt geworden, dass die Tieroase Heuchelheim aus der Taufe gehoben war, klingelte oft das Telefon. Menschen suchten Hilfe, mussten aus unterschiedlichen Gründen ihr Tier abgeben.
Ich musste die Menschen vertrösten, denn es gab kleine Hürden zu meistern bis zum "Startschuss" Tieroase Heuchelheim.
Das Giessener Veterinäramt wurde involviert. Dort stieß ich auf offene Ohren mit meinem Anliegen. Durch die Jahrelange gute Zusammenarbeit mit dem Amt gab es von dort keine Bedenken. Der verlangte sog. § 11 war für mich nach Jahrzehntelangem Umgang mit Tieren ein Kinderspiel.
Jetzt hieß es Menschen zu finden, die nicht nur die Fähigkeit hatten Tiere bis zur Vermittlung zu betreuen, sondern auch bereit waren, ihre Tür und ihr Herz für Tiereschutztiere zu öffnen.
Es lag noch ein längerer Weg vor uns bis alle Vorbereitungen abgeschlossen waren.
Da klingelte eines abends das Telefon. Ein befreundetes Ehepaar hatte beim Spaziergang mit ihren Hunden mitten in einem Feld, versteckt im Gebüsch, eine verletzte Katze mit Jungen entdeckt.
Es war ein kalter Novembertag, man konnte die Katzenfamlie nicht ihrem Schicksal überlassen. Und die Mutterkatze musste dringend tierärztlich versorgt werden, sie war verletzt und humpelte auf drei Beinen.
Am nächsten Tag wurde eine Falle aufgestellt und alle Tiere konnten gefangen werden.
Jetzt hieß es improvisieren! Es gab noch kein Katzenzimmer und noch keine Pflegestellen!
Die Tiere mussten isoliert werden. Bei wild lebenden Katzen war die Gefahr einer Infektionserkrankung groß.
In dem Nebengebäude im Anwesen meiner Tochter wurde ein Zimmer notdürftig hergerichtet. Decken und zwei Körbchen sollten ein wenig Gemütlichkeit für die verschreckten Tiere geben.
Wir waren gespannt , ob die Wildlinge eine Katzentoilette annehmen würden.
Zwei Radiatoren wärmten das Zimmer auf.
Mit Spannung öffneten wir die Falle. Lange passierte nichts, dicht aneinander gekuschelt saßen Mutter und Kinder beieinander.
Wir verließen den Raum und beobachteten durchs Fenster, was passierte. Nach gefühlter Ewigkeit schlich die Mutterkatze aus der Falle und versteckte sich in der hintersten Ecke! Die drei Kinder folgten ihr.
Schließlich siegte der Hunger und sie tapsten vorsichtig an die Fressnäpfchen. Gierig verschlangen sie das Futter.
Zum Glück gingen sie jetzt in den Weidekorb und versuchten, sich "unsichtbar" zu machen.
Wir verließen das Zimmer, damit die Tiere nach all der Aufregung Ruhe fanden. Wir waren neugierig, was wir am nächsten Morgen vorfinden würden.
Sie lagen wieder zusammen gekauert im Korb. Aber die Katzentoilette war benutzt, der Boden war sauber.
Auch die Spielsachen lagen verstreut im Raum.
Unsere vorsichtigen Annährungsversuche wurde mit kräftiger Gegenwehr und warnenden Fauch- und Knurrtönen beantwortet. Sie kannten keine Menschen- zumindest nicht von einer guten Seite. Mit Mühe gelang es, dass die Katzen den Korb verließen. Die Kleinen konnten wir mit Handschuhen greifen. Die arme Mutterkatze wurde so panisch, dass wir uns entschlossen, sie mit dem Netz zu fangen.
Ihre Verletzung am Hinterfuß musste dringend behandelt werden.
Es war keine schöne Aktion für die Katzen. Aber notwendig, wir wollten ihnen helfen.
Die Katze musste mit ihrem Hinterfüßchen in einer Falle gewesen sein. Die Verletzung war ziemlich frisch.
Sie kam in eine Box, um ihr das tägliche Fangen zu ersparen und stressfreier behandeln zu können.
Die Kitten waren alleine im Zimmer. Sie waren entwurmt und geimpft worden- und "stinkesauer" auf alles, was zwei Beine hatte.
Ohne das Muttertier gelang es schon nach wenigen Tagen, die Kätzchen zahm zu bekommen. Ihr Gier nach Leckerchen war so groß, sie konnten sich nicht beherrschen , kamen zögernd und langsam an die Hand! Wie bei allen Katzen war ihr Spieltrieb ausgeprägt. Mit der Spieleangel gelang es, sie schnell anfassen zu können.
Für sie ein Zuhause zu finden, war nicht schwer. Die Mutterkatze blieb weiterhin unnahbar und feindselig. Die Behandlungen mussen fortgeführt werden. Eine weitere Haltung im Käfig hätte die Katze nicht verkraftet. Die notwendigen Fangaktionen fördern die Freundschaft nicht und schaffen kein Vertrauen. Ein Tier versteht nicht, dass die Prozedur notwendig und eine Hilfe ist.
Die Wunde heilte. Zwei Zehen waren nicht mehr vorhanden, dies würde sie aber weder belasten noch behindern.
Es gelang uns nicht, Zugang zu der Katze zu finden. Inzwischen war sie kastriert und wir diskutierten, was mit ihr geschehen sollte.
Ein Bauern- oder Reiterhof? Würde sie bleiben, wo sie Menschen nicht in ihrer Nähe duldete? Sollten wir ihr im Garten einen Futterplatz einrichten? Wir verwarfen das, zu nahe war die Hauptstrasse und im Anwesen meiner Tochter liefen Hunde.
Weiter in dem Raum einsperren, wo die Katze auf der Lauer lag, eine Fluchtmöglichkeit zu finden?
Wir waren traurig, denn es schien keinen Platz für sie zu geben.
Die Katze im Stress, wir im Stress!
Inzwischen hatte sie einen Namen, Cindy! Und wer einen Namen hat, der gehört zu Menschen. Und diesen Menschen mussten wir finden.
Wie war das mit dem Schutzengel für Tiere?
Die Suche war nicht mehr nötig. Andrea, eine liebe Tierschützerin und Katzennärrin, hatte von Cindy gehört.
Andrea gehörte zu der ersten Jugendgruppe, die ich seinerzeit im Giessener Tierheim gegründet hatte. Sie war zuverlässig und beständig.
Andrea besuchte Cindy mehrmals. Ihr Entschluss war schnell gefasst- diese Katze kommt zu mir. In ihrem Haushalt lebten weitere Katzen aus dem Tierschutz. Cindy würde Gesellschaft haben. Aus Erfahrung wissen wir, dass verwilderte und scheue Katzen den Kontakt zu Artgenossen suchen.
Und Cindy wurde ein letztesmal mit dem Netz gefangen und trat die Fahrt nach Lollar an.
Angekommen bei Andrea, sauste Cindy schnell aus aus dem Transportkorb und in den hintersten Winkel unter den Schrank.
Sie hatte aller Zeit der Welt, sich mit ihrem neuen Leben anzufreunden. Und die anderen Katzen würden ihr helfen.
Sofort versuchten Andreas Miezen, die "Neue" in Augenschein zu nehmen und zu begrüßen.
Cindy knurrte und fauchte nicht, fast schien es uns, dass sie aufatmete, in Gesellschaft zu sein.
Die erste Zeit war aufregend für Andrea. Sie war voll berufstätig. Und wenn sie von der Arbeit kam, wurde sie von ihren Stubentigern erwartet und begrüßt. Cindy blieb unsichtbar, lebte im Haus wie ein Geist.
Während der Abwesenheit von Andrea musste sie jedoch das Haus erkunden, denn überall waren ihre Haare gut zu erkennen. Das dunkle Fell ihrer Schildpattfarbe lag auf dem Bett und dem Teppich.
Auch benutzte sie brav die Toilette.
Erst wenn Andrea aus dem Zimmer ging, kam Cindy zu ihrem Futternapf. Sie war kein Kostverächter! Es dauerte lange, bis sie ihr hektischen Fressverhalten ablegte, ein Überbleibsel ihrer Zeit ohne Betreuung.
Im Laufe der Jahre wurde sie zugänglicher gegenüber Andrea. Sie ließ sich streicheln, schlief mit im Bett und verfiel so manches Mal in ein übermütiges Spiel wie ein Kitten.
Sie lag in der Sonne im geschützen Gehege, voller Ruhe und Ausgeglicheheit. Das gehetzte Verhalten, das ruhelose Umherschauen nach einer Gefahr, verschwanden wie von Zauberhand . Völlig tiefenentspannt konnte sie schlafen. Sie war eine glückliche Katze geworden!
Nur einmal im Jahr, wenn Nicole zum impfen kam! Da verfiel sie ins alte Muster, zeigte Panik und Fluchtverhalten.
Doch diese notwendige Maßnahme war schnell vergessen.
Cindy wurde eine Gesellschaftskatze, die alle Pflegekatzen der Tieroase Heuchelheim freudig begrüßte.
Zwölf Jahre hat Andrea ihr ein schönes Leben bereitet!
Keiner von uns, die Katze Nummer eins der Tieroase Heuchelheim kennen gelernt haben, werden Cindy jemals vergessen.
Für Hunderte von Katzen haben wir inzwischen ein Zuhause gefunden. Doch Cindy steht ganz vorne in einer langen Reihe von Katzen, denen wir helfen konnten.