Kapitel 23
Leider habe ich kein Foto mehr gefunden von den Akteuren dieser Geschichte.
Affentheater- oder als ein Affe mich zum Affen machte!
In den achtziger Jahren hatte auch die Giessener Humanmedizin noch Affen als Versuchstiere.
Der damalige Leiter aus der Gynäkologie rief mich eines Tages an und bat darum, fünf Rhesusaffen im Tierheim aufzunehmen.
Sie hatten die Versuchsreihe als sog. Kontrolltiere gesundheitlich ohne Schaden überstanden. Der verantwortliche Professor wollte die Tiere nicht töten. Er suchte eine Möglichkeit, die Affen artgerecht unterzubringen.
Die fünf weiblichen Tiere seien umgänglich und gut zu händeln.
Kein Zoo oder Tierparkt wollte die Tiere aufnehmen.
Es geschieht öfter, dass michTelefonate sprachlos machen. Ich hatte keine Antwort- nein, ich dachte sogar an einen Scherz.
Eine Zusage konnte ich nicht geben, der Vorstand und das Personal musste einverstanden sein.
Ich trug mein Anliegen dem Vorstand und dem Personal vor. Auch hier zunächst unglaubliches Staunen und Ratlosigkeit. Man stimmte zu- unter einer Voraussetzung - ich musste versprechen, mich um die Affen zu kümmern und für eine Unterkunft zu sorgen.
Was blieb mir übrig, als ja zu sagen. Sonst hätte ich mich schuldig an dem Tod der Affen gefühlt.
Unterkunft- das leere Hühnerhaus! Frau Rethorn schaute micht an murmelte: hätten wir es doch abgerissen!
Der Frankfurter Zoo gab uns wertvolle Ratschläge, die umgesetzt wurden. Aus dem Hühnehaus wurde ein Affenzimmer mit allem, was nötig war, um es den Tieren angenehm zu machen. Die Affendamen waren bisher in reizarmen Käfigen gehalten. Sie würden sich wohl fühlen.
Aus dem Außengehege der Hühner wurde ein ausbruchsicherer Abenteuerspielplatz mit Kletter- und Spielmöglichkeiten. Eine sichere Außenanlage für die Tiere, die so lange- oder vielleicht noch nie- Tageslicht und Sonne gesehen hatten, die noch nie Wind oder Regen gespürt hatten. Ihr Leben sollte abwechslungsreich werden, bis wir ein Zuhause für sie fanden.
Im Schnellkurs lernte ich, was man als "Affenmama" wissen muss. Futter war kein Problem, die Affensprache schon schwieriger. Als ich glaube, die perfekte Affenpflegerin zu sein , zogen die fünf Ladys ein.
Wie das so mit der Perfektion ist, das bemerkte ich schneller als gedacht. Zum Glück für die Affen wusse ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Das Klinikspersonal war erleichtert , ein Murren des Tierheimnpersonals war zu hören, als die Affen leicht sediert Einzug ins Tierheim hielten.
Für mich war klar, dass die Primaten, die schon einige Eingriffe hatten ertragen müssen, von uns Menschen nicht im Stich gelassen werden duften. Ich beruhigte das Personal und erklärt, mich zweimal täglich um die Affen zu kümmern.
Das waren wir unseren nächsten Verwandten schuldig. Ruhig saßen sie da, kuschelten sich eng aneinander und schauten uns mit großen Angstaugen an. Die eine schnalzte mit der Zunge, die anderen "schnatterten" und blinzelte mit den Augen. Sie wollten Frieden signalisieren, also übernahm ich ihre Mimik und Gestik. Sehr zur Freude der Angestellten. Eine blinzelnde und eine mit der Zunge schnalzende Vorsitzende- die hatten sie bisher noch nicht erlebt.
Friedlich saßen die fünf in ihrem neuen Domizil. Das reichlich angebotene Gemüse und Obst wurde schnell angenommen. Friedlich hockten sie da und genossen ihre erste Mahlzeit. Friedlich- bis auf Olga!
Olga war die ranghöchste Affendame- sie hatte das Sagen!
Sie beanspruchte die besen Plätze, bestand darauf, als erste gefüttert zu werden und hielt ihre Untergebenen in Schach. Sie hamsterte das Futter vor sich und nahm den anderen die Leckerchen weg. Niemals hätten sie sich getraut, Widerstand zu leisten.
Brav ging ich täglich zweimal zu meinen Affewn, um sie zu versorgen. Das war an sich kein Problem, ich trennte die Tiere von mir, indem ich erst das Innen- und dann das Außengehege säuberte. Und das war im wahrsten Sinne des Wortes eine "Affenschande", wie es dort jeden Tag aussah. Somit war alles in Ordnung. Wenn da nicht der Wunsch gewesen wäre, näheren Kontakt zu den Tieren zu bekommen. Sie sahen so friedlich aus, streckten die Händchen durch die Gitter und suchten offenbar Körperkontakt.
So nahm ich eines Tages all meinen Mut zusammen und ging in das Außengehege zu den Affen. Sofort flüchteten sie in den oberen Bereich ihres Hauses und beäugten mich argwöhnisch. Ich weiß nicht, wessen Herz lauter schlug, meines oder das der Tiere. Meines jedoch pochte wie ein Boschhammer. Aber nichts passierte. Ungestört konnte ich sauber machen und das Futter verteilen. Ich hatte die Mannschaft zwar immer im Auge, aber es war völlig gefahrlos. Die vier "Unteraffen" schienen meine Anwesenheit nach einigen Tagen sogar zu genießen. Sie kamen immer ein Stückchen näher zu mir- außer Olga!
Olga schnatterte unaufhörlich mit der Zunge, machte kleine Scheinangriffe und gestikulierte mit den Armen! Du störst, verschwinde, das ist mein Reich- wollte sie mir wohl zu verstehen geben.
In mir erwachte der Ehrgeiz. Ich musste das Herz dieser Oberäffin gewinnen! Aber wie? Beim Abendbrot zu Hause kam mir die Erleuchtung! Tomaten! Schöne, rote , leckere Tomaten mussten Olgas Herz schmelzen lassen. Damit werde ich sie bestechen, sprach ich mir selbst Mut zu. Bewaffnet mit Tomaten betrat ich beim nächstenmal das Affenhaus und hielt dabei ein dickes Exemplar in der ausgestreckten Hand. Alle kamen- nur nicht Olga. Also legte ich den vier Affen ihre Ration hin. Sie verzogen sich dabei schnell in den hintersten Winkel, um ihre Köstlichkeit in Ruhe zu verspeisen.
Das gefiel Olga gar nicht. Das konnte sie nicht zulassen! Langsam kam sie näher und betrachtete argwöhnisch die Frucht in meiner Hand, die ich ihr mutig hinhielt. Eine ganze Weile passierte nichts. Mein ausgestreckter Arm fing schon an zu kribbeln. Plötzlich schoss sie wie ein Blitz nach vorne und riss mir unhöflich die Frucht aus der Hand. Hurra, jetzt ist das Eis gebrochen, dachte ich noch, als Olga plötzlich anfing laut zu schreien und fürchterlich zu schimpfte. Sie hatte in die Frucht gebissen , ihr Gesicht war vor Ekel verzerrt. Sie spuckte in hohem Bogen das abgebissene Stück Tomate aus , sah mich wütend an , hob den Arm hoch und warf mir die Tomate mit voller Wucht an den Kopf. Volltreffer! Mir lief die Soße das Gesicht herunter. So eine alte Zicke ärgerte ich mich. Mit einem Tempo wischte ich mich sauber, vielmehr wollte ich mich gerade sauber reiben, als mich etwas Weiches, Warmes und ekelhaft Riechendes traf. Olga hatte sich umgedreht und mich kurzerhand- ja wie soll ich es sagen? Sie hat mich als Toilette benutzt- zielsicher ! Wer es von Euch nicht verstehen sollte- sie hat mich voll geschissen! Jetzt war ich aber richtig stinkig- und das im doppelten Sinn.
Ich nahm mir meinen Besen und ging wild gestikulierend auf diesen "Schweinsaffen" zu. Ich wedelte bedrohlich vor Olgas Nase herum und gab ihr schlimme Namen. Allerdings schien sie das nicht im geringsten zu beeindrucken. Seelenruhig saß sie auf ihrm Platz und aß eine Banane. Dabei würdigte sie mich keines Blickes.
Als ich später von diesem Erlebnis berichtete, fingen alle an schallend zu lachen. "Olga hat Dich zum Unteraffen gemacht, bei der kannst Du keinen Blumentopf mehr gewinnen! " Und so war es auch! Ich konnte nicht mehr zu den Affen gehen. Olga hätte mich jeden Tag mit ihren "Innereien" beglückt. Sie warf mit dem, was man normalerweise in der Toilette entsorgt. Sogar durch den Zaun! Getroffen hat sie mich noch mehrmals- aber nur ein bißchen!
Nach langem Suchen und mit Hilfe der Sendung Herrchen gesucht fanden wir einen Platz für die Affen. Damals war die Privathaltung noch erlaubt. Frau Rethorn und ich schauten uns das Gehege an. Es war sehr groß und bestens ausgestattet. Hier konnten die Tiere nun endlich bis an ihr Lebensende bleiben.
Wunderbar alles geregelt. Wir mussten sie nur noch einfangen und in ihr neues Domizil fahren. "Kein Problem, die schieße ich" sagte Frau Rethorn. Natürlich mit einem Pusterohr. Doch dieses Gerät kannten die Affen aus der Zeit im Versuchslabor. Dort waren sie in einem Käfig, wo es keine Kunst war, sie zu treffen. In unserem Gehege gestaltete sich das schon schwieriger. Letztendlich aber waren vier der Ladys betäubt und konnten in den gepolsterten Transportkäfig gelegt werden. Blieb nur noch Olga! Die hatte sich von ihrem hohen Posten die ganze Angelgenheit in Ruhe angeschaut. Sie beäugte unsere Tierärztin und das Pusterohr! "Schieß doch"- schien sie zu signalisieren. Schon der erste Pfeil traf den dicken Popo! Ratsch! Im Bruchteil einer Sekunde riss Olga diesen heraus, roch daran und warf ihn- na ja, wie die Tomate!
Noch ein Schuss und noch ein Schuss ! Irgendwie fand Olga das Ganze immer lustiger und wurde immer genauer im Zurückwerfen. Frau Rethorn wollte Hilfe holen. Sie war noch nicht am Telefon, als wir markerschütternte Schreie eines Affen hörten. Olga! Unser Zivildienstleistender Ralf hatte Olga gepackt! Zwei Arme in der linken, zwei Beine in der rechten Hand. Den Affen auf dem Rücken schrie er: " Ich hab´die Olga, ich hab´die Olga!" Uns blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Wir brüllten nur noch: Ralf, halt den Affen fest! Wenn sie loskomt, verschwindet sie auf Nimmerwiedersehen im Wald!"
Doch Ralf hatte Olga im Schwitzkasten! Er trug den Affen ins Haus und stopfte die verdutzte Olga in die Transportbox.
Wir alle waren zur Salzsäure erstarrt! Aber es war ja alles gut gegangen! Eine empörte, verdutzte, laut schimpfende und heftig an der Tür der Transportekiste rüttelnde Olga musste einsehen, dass sie eben doch "nur" ein Affe war!
Die Tiere sind gut an ihrem Bestimmungsort angelangt und konnten noch viele Jahre ein schönes Affenleben führen.
Ich denke noch heute an Olga! Sie wäre in Freiheit in einem Affenrudel mit Sicherheit die Lieblingsfrau des Rudelführers gewesen! Die Frage bleibt, ob wir Menschen Tiere überhaupt und Affen im besonderen als Versuchstiere benutzen dürfen. Wir sind genetisch fast identisch und nahe verwandt. Die Antwort muss sich jeder selbst geben.