Kapitel 50
 
Mein Herzenswunsch ging in Erfüllung , aber oje!
 
Ich bin ein Nachkriegskind. Ich habe die Zeit nicht vergessen, wo Nahrungsmittel knapp waren und Fleisch nur selten zu einer Mahlzeit gehörte.
Haustiere wie Hunde oder Katzen gab es selten. Ein Tier gehört auf den Teller- das war auch leider die Meinung meiner Großeltern und meiner Mutter.
Man hört oft den Satz: "Der Schutz der Tiere, ihre Achtung und der sorgsame Umgang mit unseren Mitgeschöpfen müssen die Eltern ihren Kindern nahe bringen"!
Ich habe es anders erfahren und behaupte, dass die Liebe und Verantwortung gegenüber Tieren ein Geschenk ist und schon "in der Wiege" liegt. Bei mir war es so, bei meiner Tochter und meinem Enkelkind ebenso!
Niemals habe ich in meinem Elternhaus etwas über Achtung gegenüber der Natur oder Kreatur gehört. Es war in meiner Kindheit eine andere und harte Zeit. Ich mache weder meiner Mutter, noch meinen Großeltern einen Vorwurf. Sie hatten andere Sorgen! Und der Krieg hat die Gefühle verdrängt, um den Überlebenskampf durch stehen zu können.
Seit ich denken kann, wünschte ich mir einen Hund. Dies wurde in meinem Elternhaus ignoriert. Und wenn ich gar zu "lästig" wurde, bekam ich Schimpfe. Als Kind versuchte ich, meinen Willen durch zu setzen mit heftigem Trampeln auf den Boden. Doch das ließ meine Oma "kalt"- im Gegenteil- ich wurde in die Kammer eingesperrt, bis ich wieder lieb war.
Ja, so waren sie, die damaligen Zeiten! Geschadet hat es mir nicht, meinen Kampfgeist hat es mir bis zum heutigen Tag jedenfalls nicht genommen.
Ich kümmerte mich um andere Hunde. Als mein Opa sein Möbelgeschäft wieder aufgebaut hatte, war ich oft dort. Der Kirchenplatz in Giessen warum 1950 ein großer Spielplatz mit wenigen Geschäften und Autos.
In der Nachbarschaft gab es einen großen Hund im Hof, der mit einer Kette an einer Hütte hing. Er sollte das Lager des Lebensmittelgeschäftes bewachen, welches zu dieser Zeit in dem Haus ansässig war.
Schon damals fiel mir auf, dass der Hund an der Kette keine Chance hatte, einen Einbruch zu verhindern.
Der Hund bekam Essenreste und hatte manchmal kein Wasser. Er war ein mürrischer, übel gelaunter Hund, der deutlich zeigte, was er von den Menschen hielt.
Ich freundete mich mit dem Hund an und gab ihm den Namen Harras. Nach einiger Zeit wartete der Hund schon auf mich, freute und begrüßte mich. Ich teilte mein Schulbrot mit ihm und fühlte mich in seiner Nähe wohl.
Instinktiv spürte ich schon als Kind, dass dieser Hund mich niemals beißen würde. Ich war natürlich heimlich dort, niemals hätte ich eine Erlaubnis erhalten, mich dem gefährlichen Hund zu nähern.
Eines Tages kam mir der Gedanke, Harras von der Kette los zu machen und mit ihm in der nahe gelegenen Anlage spazieren zu gehen.
Mit Mühe löste ich die Kette und marschierte los. Der Hund ging mir bis zur Hüfte, gemütlich konnte ich ihn am Halsband halten. Ganz brav ging er mit mir, machte keine Anstalte weg zu laufen.
In der Anlage ließ ich ihn los und wir tollten übermütig über die Wiese. Sehr zum Erstaunen der Leute, die kopfschüttelnd unser Treiben beobachteten.
Ich kann mich noch an einen Mann erinnnern, Aktentasche in der Hand und Hut auf dem Kopf. Er schimpfte mit mir und forderte mich auf, unverzüglich mit dem Hund nach Hause zu gehen. Harras fand das gar nicht gut, er stellte sich vor mich und fing mit tiefer Stimme an zu Knurren und die Zähne zu zeigen. Zum Glück ging der Mann schnellen Schrittes davon. Ich hätte Harras nicht hindern können, den Mann zu beißen.
Irgendwann bemerkte mein Opa, wo ich hinging, folgte mir und war entsetzt, als er mich bei dem Hund sah.
Seine Aufforderung, sofort mit ihm zu gehen, befolgte ich nicht. Machen konnte er gar nichts, denn Harras hatte wieder seine Verteidigungsposition eingenommen.
Irgendwann musste ich ja nach Hause. Da folgte die Strafe auf dem Fuß, ich wurde in die Kammer gesperrt.
Eine lange Zeit genossen Harras und ich die gemeinsame Zeit, keine Strafe hielt mich davon ab, den Hund nicht zu besuchen. Wollte man mich holen, legte ich mich mit ihm in die Hütte und war in Sicherheit!
Eines Tages war Harras weg, sein Platz verwaist, nur die dicke Kette hing an der Hütte. Ich habe niemals erfahren, wo er hingebracht wurde. Vergessen habe ich diese treue Seele nie.
Mein Drängen nach einem eigenen Hund wurde mit den Jahren massiver. Meine Großeltern gaben schließlich nach, stellten aber eine Bedingung. Ich musste den Kaufpreis für den Hund von meinem Taschengeld bezahlen. Nebenher "verdiente" ich mir Geld für kleine Gefälligkeiten für ältere Nachbarn, indem ich die Einkauftaschen in die Wohnung trug oder kleine Einkäufe beim Bäcker erledigte.
Nach einem Jahr hatte ich 100 DM zusammen gespart und Janchen von Bellstrauch, ein Langhaardackel, zog bei uns ein. Ich glaube, ich war damals das glücklichste Kind von der Welt. Dass der Hund voller Läuse war, störte mich weniger, meine Mutter umso mehr, die trotzdem fleißig das Ungeziefer entfernte.
Ich weiß nicht, ob diese Prozeduren das Verhältnis des Hundes zu meiner Mutter prägte- auf jeden Fall spielte ich für den Hund nur die zweite Geige. Kam ich aus der Schule, begrüßte sie mich verhalten, kam meine Mutter aus dem Geschäft nach Hause, sprang der kleine Knirps meiner Mutter fast in den Arm. Ich war maßlos enttäuscht, schließlich hatte ich den Hund von meinem mühsam gesparten Geld gekauft. Doch Emotionen kann man eben nicht mit kaufen. Darüber entscheidet ein Tier selbst.
Zwar ging ich täglich mit Janchen spazieren, doch meine Zuneigung zu ihr war merklich abgekühlt.
Inzwischen war ich 14 Jahre alt, meine Aufmerksamkeit widmete sich langsam dem anderen Geschlecht zu.
Auf einem Schulfasching verliebte ich mich in Günther, der tollste Typ, den man sich vorstellen kann- dies war meine feste Meinung.
Was war das alles so harmlos damals! Händchen halten, ein scheues Streicheln, ein kleines Küsschen! Was waren wir schüchtern und gehemmt! Schön war es trotzdem!
Heimlich trafen wir uns. Meine Mutter hätte mir den Kopf abgerissen, hätte sie von diesen Treffen Kenntnis bekommen. Heute weiß ich, wie falsch Eltern und Großeltern gehandelt haben. Wie gerne hätte ich meine Schwärmerei zu Hause erzählt und mein Glück geteilt.
Wie schwer wir es doch hatten und wie froh können die jungen Menschen heute sein, soviel Freiheit zu haben!
Doch irgendwann kommt alles raus! Und schuldig war Janchen, mein Dackel, der nie mein Dackel wurde.
Die Nordanlage, damals noch ohne Anlagenring, einem kleinen Park ähnlich, war der Treffpunk mit Günther. Es war ein schöner Sommerabend, als wir Händchen haltend unter einer großen Kastanie standen! Was waren wir selig!
Plötzlich sah ich auf der anderen Strassenseite meine Mutter mit Janchen! Der gewohnte Abendspaziergang, den meine Mutter mit dem Hund untenahm, führte durch die Anlage. Für sie nach dem langen Tag im Geschäft eine Erholung und für den Hund Freude pur!
Günther und ich versteckten uns hinter einem Gebüsch. Unser Herz klopfte!
Plötzlich hob Janchen den Kopf, der bei seinem ersten Besitzer geführte Jagdhund nahm Witterung auf. Und plötzlich rannte sie los und sauste auf ihren kurzen, krummen Beinchen in unsere Richtung.
Da half uns auch kein Verstecken mehr, schnell hatte uns der Hund entdeckt, freute sich "wie Bolle" über seine gefunde "Beute", die er mit lautem Bellen kund tat. Meine Mutter rannte in unsere Richtung, laut rufend "Janchen , Janchen , komm hierher ! " Doch Janchen dachte gar nicht daran!
Wir konnten sie nicht verscheuchen, unsere wedelnden Arme und leises "geh weg" betrachtete sie als ein Spiel und wurde immer lauter. Sie hüpfte und freute sich diebisch , während unser Herz tiefer als in die Hose gerutscht war.
Und dann stand sie vor uns- meine erstaunte Mutter. Doch ihr Staunen schlug schnell in Zorn um. Grollend und streng fragte sie :" was ist denn hier los"! "Seid Ihr denn noch zu retten- habt Ihr noch nie etwas von Anstand gehört"! Wir hatten nichts verbrochen- doch schuldbewusst senkten wir die Köpfe, was meine Mutter mit strengen Worten quittierte: "Schaut mich an, wenn ich mit Euch rede"! Und eh wir uns versahen, hatte ich eine Ohrfeige und Günther ebenso!
Was für ein Glück, dass sich diese Zeiten geändert haben! Doch damals war es eben so! Wir waren voller Schuldgefühle!
Meine erste "Liebe" war beendet, Günther und ich grüßten uns noch, gingen uns aber aus dem Weg. Ich denke, wir haben uns geschämt.
Ich hatte lange Stubenarrest und musste mir anhören, dass sich so ein Verhalten für ein anständiges Mädchen nicht gehört.
Und Janchen? Sie war sich natürlich keiner Schuld bewusst und hatte ja auch keine Schuld.
Mein Hund wurde sie niemals, sie war ein Familienhund und ich in ihren Augen die Rangniedere im Rudel!
Ich habe das zur Kenntnis genommen und mir geschworen, nie wieder einen Dackel!
Doch ich habe im Tierschutz einige Dackel kennen und lieben gelernt! Eines ist klar! Diese Rasse ist schon entwas besonderes, was Janchen vn Bellstrauch bewiesen hat.
Eine Ironie des Schicksals! Ihr Zwingername "von Bellstrauch"- und sie findet Günther und mich bellend in einem Strauch!
 
 
 
 
Kapitel51
   
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