Kapitel 52
Ein Hamster weckte den Tierschutzgedanken!
Im Jahre 1950 wurde ich eingeschult! Ein großes Ereignis! Es gab eine Schultüt; und ich durfte mir noch etwas wünschen!
Die Schultüten von heute sind kleine Kunstwerke, voll gefüllt mit Süßigkeiten und Geschenken. Angemessen an unser Konsumdenken. Meine Schultüte hatte meine Oma selbst gebastelt, und in meinen Erinnerungen war sie wunderschön und bunt. Der Inhalt war bescheiden! Eine Schiefertafel, Kreide, ein Poesiealbum und bunte Bildchen, sowe eine Apfelsine, Äpfel und Bonbons! Zur damaligen Zeit Schätze!
Mein erster Schultag war aufregend, der streng blickende Lehrer machte mir Angst! Wir mussten aufstehen, als der Lehrer das Klassenzimmer betrat. Laut ertönte es im Chor : Guten Morgen Herr Lehrer! Seine Antwort: Hinsetzen! Anschließend mussten wir einzeln aufstehen und unseren Namen nennen.
Spannende Stunden, begleitet von Respekt vor dem streng blickenden Lehrer und dem Ton der Anweisungen, die mir fremd waren. Aber das war nicht alles! Zur Feier des Tages waren meine Zöpfe fest geflochten, eine dicke Schleife "zierte" die Haarprach,t und zur Krönung des Ganzen wurde mir mit einem Kamm eine "Tolle" am Kopf befestigt! Noch heute glaube ich zu spüren, wie die Zinken am Kopf entlang schabten. Und dann mein Ourfit! Mit viel Mühe hatte meine Oma Wolle organisiert! Schafswolle! Einen Glockenrock mit Alpenblumen und eine passende Jacke! Und Kniestrümpfe! Die Wolle kratze wie toll, war hart wie ein Panzer! Und die Kniestrümpfe! Folterwerkzeuge, die sich an den Beinen anfühlten, als läge ich in einem Ameisenhaufen! Neue Schuhe hatte ich auch bekommen, natürlich viel zu groß. Schießlich mussten sie lange halten. Ich kam mir vor, als würden meine Füße schwimmen. Da wächst Du bald hinein, tröstete mich meine Oma!
Übrigens habe ich mir schon nach kurzer Zeit in der Schule meine Zöpfe oben an Kopf abgeschnitten und hatte nie mehr lange Haare!
An der Schule wurde ich von meiner Mutter abgeholt. Jetzt wurde mein Wunsch erfüllt und ich war sehr aufgeregt. Ich bekam einen Hamster! In der Bahnhofstrasse in Giessen gab es ein kleines Zoogeschäft! Voller Spannung betraten wir den Laden.
In Erinnerung ist mir ein abscheulicher Geruch, Vögel in viel zu kleinen Käfigen, Welpen in einen mit Sägemehl gefüllten Glaskasten und ein kleinen Äffchen auf einem Holzstamm mit einer Kette fest gemacht. Um den Hals trug es ein Metallband. Es gab schrille Töne von sich, wobei es sein Mäulchen spitze, als wolle es pfeifen. Es hopste hin und her, die viel zu schwere Kette in der kleinen Hand. Bis heute ist mir dieser traurige Anblick in Erinnerung.
Bevor wir einen Hamster zu Gesicht bekamen, bot uns der Inhaber dieses Ladens Zubehör an. Schließlich war dieser Verkauf profitabler als der Kauf eines Hamsters. Heute weiß ich, dass die Größe des Käfigs ein kleines Gefängnis war. Als Zubehör gab es ein kleines Schlafhäuschen, zwei Näpfe, Einstreu und ein Laufrad! Damals wusste ich es nicht anders- aber es war Tierquälerei, in diesen Verlies ein bewegungsfreudiges Tier leben zu lassen.
Die Hamstser bekamen wir nicht zu Gesicht. Die Unterbringung der Tiere wird so katastrophal gewesen sein, dass der Anblick für Kunden tabu war. Der grobe Mann hielt einen Hamster am Schwanz, mit dem Kopf nach unten und stopfte ihn in einen kleinen Transportkarton. Zuhause angekommen wurde der Käfig eingerichtet und der Hamster bezog sein Domizil. Er verschwand sofort in dem kleinen Häuschen.
Meine Mutter erklärte mir, dass Hamster am Tag schlafen und nachts aktiv sind. Auf meine erstaunte Frage, wann ich denn mit ihm spielen sollte wurde knapp beantwortet: mit Hamstern spielt man nicht.
Ich war sehr enttäuscht. Einen kleinen Hund bekam ich auf keinen Fall, mit dem ich hätte spielen können- und jetzt hatte ich einen Hamster, mit dem ich nichts anfangen konnte.
Er bekam den Namen Fipsi, ob wohl keiner wusste, welches Geschlecht er hatte. Gegen Abend kam er aus seinem Häuschen und ich konnte ihn beobachten. Er stopfte sich die Backen voll Futter und trug sie in sein Häuschen. Er wuselte unruhig hin und her oder rannte hektisch in seinem Laufrad. Als Kind fand ich das lustig, heute weiß ich, wie schlecht es meinem Hamster ging. Wie gerne hätte ich ihn in die Hand genommen und gestreichelt. Ich hatte ihn ein Halsband und eine Leine gehäkelt, um ihn in meinem Zimmer laufen zu lassen. Aber das wurde mir verboten.
Meine Oma hatte mir streng untersagt, Fipsi aus dem Käfig zu nehmen. Wenn dieser sauber gemacht wurde, kam der Hamster auf den Tisch. Es wurde eine Schüssel über ihn gestülpt, damit er nicht weglaufen konnte! Was für Zeiten!
Ich verlor schnell die Lust an dem Hamster. Als ich eines abends nicht einschlafen konnte und der Hamster hellwach seine aufgestaute Energie im Laufrad abbaute, fasste ich einen Plan. Mit meinen Büchern baute ich ein Viereck. Hier konnte Fipsi nicht entkommen. Und ich konnte mit ihm spielen. Er rannte hin und her, machte Männchen und versuchte zu entkommen. Mehrmals setze ich ihn zurück und baute die "Mauer" mit weiteren Büchern höher. Fipsi wollte nicht spielen, er beachtete mich gar nicht und unternahm weiter Ausbruchsversuche. Er war mit seiner Flucht beschäftigt und mir war langweilig. Ich setzte ihn zurück in seinen Käfig- und vergass, die Bücher zurück in das Regal zu stellen. Als meine Oma mich am nächsten Tag weckte, fiel ihr Blick sofort auf meine "Hamstermanege"! Mit strengem Blick fragte sie mich, was das zu bedeuten hätte. Als ich ihr erklärte, dass ich mit Fipsi spielen wollte, schimpfte sie mit mir und ich bekam an diesem Tag keinen Nachtisch.
Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen, denn an den folgenden Tagen wurde mein Zimmer inspiziert, wenn ich im Bett lag.
Da kam mir eine Idee! Ich nahm Fipsi mit ins Bett! Unter der Decke konnte ich ihn gut beobachten und fand seine Aktivitäten lustig, wie er versuchte, sich zu befreien. Irgendwann war ich eingeschlafen- mit Hamster im Bett! Als mich meine Oma am Morgen weckte, bemerkte sie sofort den leeren Käfig. Strafend blickte sie mich an und fragte streng: wo ist der Hamster? Kleinlaut und schuldbewusst senkte ich den Kopf und versuchte , eine Erklärung zu finden!
Wahrscheinlich hat Fipsi die Käfigtür geöffnet! Ja, Lügen habe kurze Beine und in der Tat wurde ich immer kleiner! Natürlich glaubte mir meine Oma kein Wort und befahl mit, den Hamster zu suchen. Auf den Knieen rutschte ich durchs Zimmer! Von Fipsi keine Spur! Als meine Oma zurück ins Zimmer kam, wurde sie laut und fast hysterisch! Ein verschwundener Hamster im Zimmer oder vielleicht schon im Haus. Auch ihre Suche war vergebens! Fipsi blieb verschwunden! Oma war so sauer, dass sie mir erklärte, der Hamster kommt zurück ins Geschäft, wenn er wieder auftaucht. Ich fing an zu weinen! In dieses schreckliche Geschäft! Wenn ich ihn finde, dachte ich, setze ich ihn den Garten, damit er sich ein schönes Leben machen kann!
Doch es sollte ganz anders und viel schlimmer kommen! Als ich aus der Schule nach Hause kam, erwartete mich meine Mutter mit bösem Gesicht! Sie fing an zu schimpfen und mit jedem gesprochenem Satz bekam ich einen kräftigen Klaps auf den Po. Worte wie undankbar, ungehorsasm, böse und schlechtes Kind flogen mir um die Ohren. Nie mehr bekommst Du ein Tier, dafür wirst Du eine Strafe bekommen. Ich wusste nicht, wie mir geschah, denn was passiert war, erklärte sie mir nicht.
Ich traute mich nicht zu fragen, ob Fipsi gefunden worden was. Schuldbewusst ging ich in mein Zimmer. Sofort fiel mir auf- meine dicke Decke lag nicht mehr in meinem Bett! Dann kam meine Oma ins Zimmer und ich musste mir ein weiteres Mal anhören, welch schlimmes Kind ich war. Doch endlich erfuhr ich, was geschehen war. Fipsi wurde vergebens gesucht und galt als verschollen! Meine Oma, zuständig für das Haus, lüftete wie jeden Morgen mein Zimmer und schüttelte mein Decke aus dem Fenster! Ihr fuhr der Schreck durch die Glieder, als die Federn lustig im Wind tanzten! Je mehr sie schüttelte, um so mehr Federn flogen durch den Garten! Nichts Gutes ahnend durchsuchte meine Oma die Bettdecke. Schnell fand sie mehrere Löcher! Der Hamster- sie ahnte Schlimmes. Mit beiden Händen wühlte sie sich durch die Federn. Federn im Zimmer, Federn in den Haare meiner Oma, Federn überall! Dann wurde sie fündig! Sie hatte Fipsi gefunden- mausetot, erstickt in den Federn!
Als ich das hörte, war ich entsetzt und sehr traurig! Der arme Hamster- und ich war schuld. Jetzt erst bemnerkte ich, dass ich Fipsi lieb gewonnen hatte. Ich begriff, dass Hamster ihr Leben nach eigenen Wünschen gestalten wollten. Und dazu gehören keine Kinder, die spielen wollen. Ich hatte eine Strafe verdient- und die bekam ich- mehrfach! Ich hatte Hausarrest, bekamm den Po verhauen und eine Woche keinen Nachtisch und keine Süßigkeiten! Und nie mehr kommt ein Tier ins Haus!
Ich hatte eine schöne und behütete Kindheit, trotz all der Fehler, die zu damaliger Zeit von Eltern und Großeltern gemacht wurde. Meine erste Erfahrung mit dem Tod war traumatisch! Ich hätte Trost gebraucht! Heute ist mir klar, dass meine meine Großeltern und meine Mutter durch den Krieg in ihrem Gefühlsleben gestört waren. Und sie hatten große Sorgen, ein neues Leben aufzubauen. Der Tod eines Hamsters war für sie Nebensache. Das zerstörte Federbett, das bereitete Sorgen, denn so einfach war es nicht, ein Neues zu organisieren. Das habe ich als Kind nicht begriffen. Der Vorfall war in meinem Elternhaus schnell kein Thema mehr. In mir jedoch hat sich etwas verändert, so klein ich auch noch war. Ich bin sicher, damals wurde der Grundstein in mir gelegt, dass Tiere ge- und beschützt werden müssen.
Je älter ich wurde, umso mehr machte ich mir Gedanken über den Umgang der Menschen mit den Tieren. Rückblickend weiß ich, dass ich mir von Kindesbeinen an Sorgen um die Tiere gemacht habe. Mit acht Jahren habe ich bei meiner Tante im Vogelsberg die Ferien verbracht. Und meine Tante zur Verzweiflung gebracht, wenn ich abends müde und schmutzig aus den Stallungen kam. Ich durfte nur unbekleidet ins Haus, weil meine Tante den Stallgeruch widerlich fand.
Ich jedoch genoss meine Ferien im Kuh- und Schweinestall, auf den Feldern und der Weide. In dieser Zeit waren die Dörfer voller kleiner Bauern- Massentierhaltung ein Fremdwort! Die Kühe und Schweine hatten Namen! Es wurde von Hand gemolken, jede Geburt eines Kälbchens ein Ereignis! Herodesprämie für neugeborene Bullen- niemand wäre auf solche Gedanken gekommen! Tiere und Bauern waren eine Familie, die Tiere wurden geachtet. Auch dann, wenn sie irgendwann auf dem Teller gelandete sind.
Die Landwirtschaft ist heute ein Massenbetrieb, die vielen Tiere in ihren Stallungen anonyme Wesen mit Nummern! Der Bauer wird durch unsere Politik gezwungen, nur durch die Einstallung vieler Tiere überleben zu können. Und auch das nur durch Subventionen!
Die Bauern wollen das nicht, sie wollen durch ihre Hände Arbeit ausreichend Geld verdienen. Und das wird nicht gelingen, solange das Schlagwort "BILLIG" heißt! Gute Lebensmittel haben ihren Preis. Und solange das die Mehrheit der Bevölkerung das nicht akzeptiert, solange werden Tiere leiden. Die Transporte der Schlachttiere gehen auf immer weitere Fahrten!
Tierwohl ist das Schlagwohl der Politik! Jeder einzelne Politiker und jede einzelne Politkerin sollten sich schämen, dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Ein Tierschutzgesetz mit Verfassungsrang, wie es Deutschland hat, ist nicht mehr wie ein wertloses Stück Papier! Jedem Tier ist ein abgemessener Lebensraum zur Verfügung zu stellen? Muttersauen in sog. lebenden Särgen, deren Bewegungsfreit darin besteht, sich hin zu legen und auf zu stehen . Die gestressten Schweine, die stereotyp an den Gitterstangen ihres Gefängnisses kauen, nennt die Politik artgerecht?
Wenn ich an die vielen Tiere denke, die gezwungen werden, ihr Leben mit uns Menschen zu verbringen, werde ich nicht nur traurig, sondern zornig. Was haben Exoten in unserem Wohnzimmer verloren? Schlangen, Echsen, Papageien u.s.w. sind doch keine Dekorationsstücke. Das Wort "Nachzuchten" ist nur ein Alibi, diese Tiere einzusperren! Ein Wildtier bleibt ein Wildtiere, auch wenn es über Generationen "nachgezüchtet" worden ist!
Auch Zoos sind in meine Kritik geraten! Menschenaffen, genetisch eng mit uns Menschen verwandt, gehören nicht zur Belustigung der Menschen hinter Gitter! Mögen ihre Unterkünfte tiergerechter sein als in früheren Jahren, gerecht sind sie niemals. Wenn Menschenaffenmütter in vielen Fällen ihre eigenen Kinder nicht aufziehen, ist das eine Form der Verhaltensstörung! Aber die Tierkinder sind ein Publikumsmagnet, sie lassen die Kasse klingeln.
Zoos ziehen sich gerne den Mantel der Arterhaltung an. Ich habe da eine ganz andere Meinung! Wenn die Welt es zuläßt, dass der Lebensraum der Wildtiere mit rasenter Geschwindigkeit zerstört wird, die Waldrodungen und der Gier nach Tropenholz weiterhin fortschreitet, die Geldgier wächst, dann nehmen wir den Tieren ihre Heimat. Unsere Pflicht ist es, diese Zerstörungen zu verhindern! Es ist keine Alternative, den Tieren ihr Umfeld zu nehmen und sie in einen Zoo zu sperren, weil ja die Art erhalten werden muss! Diese Aktivitäten der Arterhaltung ist nur dann sinnvoll , wenn wir die Urwälder schützen und bewahren.
Ein kleiner, unscheinbarer Hamster erweckt vielleicht keine Gedanken an den Kampf für die Freiheit der Wildtiere. Mich hat sie zum Nachdenken angeregt und ich mache mir viele Gedanken, was wir Menschen tun können, um unsere Erde in ihrer Schönheit und Vielfalt zu erhalten. Für uns Menschen und für all die wunderbaren Geschöpfe auf den Land und in den Meeren ist es unsere Pflicht. Tausende von Tieren und Pflanzenstehen auf der roten Liste und es droht, dass sie für immer verschwinden. Wenn der Mensch so weiter macht, dann sägen wir uns selbst den Ast ab, auf dem wir sitzen und werden untergehen. Das wird schneller gehen, als auf dem Mars eine zweite Erde für die Krönung der Schöpfung aufzubauen!