Kapitel 21
Dörnchen und Amanda!
Wir alle kennen Ehepaare, die sich mit zunehmendem Alter immer ähnlicher werden. Ihr Gang und ihre Gewohnheiten nähern sich an. Und bei Tieren ist das nicht anders. Aber der Reihe nach.
Eines Tages bekam ich einen Anruf, in Lollar sei eine Leiche im Haus und dem Bestattungsunternehmen nicht möglich, diese in den Sarg zu legen. Auf der Leiche säße ein Dackel, der sich benehme wie eine Furie und Angst verbreite. Auch die dazu gerufene Polizei wisse sich keinen Rat, als den Hund zu erschießen.
Frau Rethorn machte sich sofort auf den Weg. Auch sie wollte schießen, aber um den Dackel zu betäuben. Dieses Vorhaben mißlang, denn der kleine Hund rannte in Windeseile und mit grollenden Tönen auf dem Leichnahm hin und her. Mit dem Ergebnis, dass ihn der Betäubungpfeil nicht traf. Also kam das Fangnetz zum Einsatz!
Nach einer aufregenden Fangaktion kam Frau Rethorn im Tierheim an. Triumphierend und in Siegesstimmung mit Dackel im Netz!
Doch diese Freude dauerte nicht lange, denn plötzlich fiel der Rüde auf den Boden- im Netz klaffte ein großes Loch.
Wir alle kennen ein Rodeo! Aber fang mal einen Dackel mit dem Lasso! Eine unglaubliche Energie steckte in dem kleinen Kerl. Wir machten schneller schlapp als er. Wie also fängt man einen wild gewordenen Dackel? Kurze Krisenbesprechung, dann wurde er eingekesselt, verbiss sich in einen Besenstiel- und schwups - die dicke Decke über ihn und ab in den Zwinger.
Wir bekamen noch seine Ahnentafel nach gereicht, wussten nun, dass er 10 Jahre alt war, Dörnchen hieß und ein geführter Jagddackel bei einem Jäger war.
Lange hat es gedauert, bis er Vertrauen fasste. Er wurde ein Schmusedackel uns gegenüber. An Vermittlung dachten wir nicht, denn seine Zähne waren Fremden gegenüber jederzeit einsatzbereit.
Eines Tages kam ein Professor ins Tierheim. Er hatte von Dörnchen gehört und wollte ihn adoptieren. Unsere mahnenden Worte wollte er nicht hören. Ihn habe noch nie ein Hund gebissen.
Na gut, dachten wir und schrieben mit rot in den Vertrag: Erwerber wurde darauf hingewiesen, dass Hund beißt. Dörnchen warf uns einen fragenden Blick zu, ging aber brav mit. Wir wussten, er kommt bald zurück! Er hat sich nur schnell mit der Vermittlungsgebühr sein Futter verdient!
Es ging schneller als gedacht. Nur wenige Tage später stand der Herr Professor mit verbundener Hand und Dörnchen im Büro. Es gab keine langen Diskussionen, nur ein Satz: hier habt Ihr Euren Köter- und das Geld will ich auch nicht zurück. Professor weg, Dörnchen da!
Eine Situation ist mir noch gut in Erinnerung! Im Tierheim wurde eine läufige Hündin abgegeben. Dörnchen, der Hausrecht hatte und sich frei bewegen durfte, ging freundlich auf die Hündin zu. Ehe wir reagieren konnte passierte es! Nein, nein, nicht was Ihr denkt! Dörnchen roch an der Hündin, blieb zunächst wie angewurzelt stehen, fing an jämmerlich zu heulen und rannte mit seinen krummen Dackelbeinchen zu seinem LIeblinsmensch im Tierheim- zu Brundhilde, genannt Bruni und versteckte sich hinter ihr. Die Situation war so komisch, dass wir in schallendes Gelächter ausbrachen. Eines war klar- von läufigen Hundemädchen hielt er nichts, sie schienen ihn in Panik zu versetzen.
Dörnchen war ein Unikum und Unikat. Als wir vom Verband des Deutschen Hundewesens eine Einladung erhielten, Senioren Rassehunde mit VDH Papieren, die im Tierheim leben, auf der Welthundeaustellung in Dortmund vorzustellen durften , war klar: da muss ich mit Dörnchen hin.
Ich war in der Halle total aufgeregt zwischen den vielen Menschen und Hunden. Ein Lärm durch Hundegebell, Lautsprecheransagen- eine unangenehme Akustik. Dörnchen störte das überhaupt nicht. Völlig unbeeindruckt von den vielen Beinen und anderen Hunde marschierte er durch die Menge. Dann wurden die Seniorentierheimhunde in den Ring gerufen. Ich bin sicher, dass Dörnchen nicht das erstemal auf einer Ausstellung war. Ich musste ihn auf den Tisch stellen und in "Ausstellungsposition" bringen.
Die nette Richterin begutachtete ihn. Die Ohren und Schwanzhaltung, den geraden Rücken, die Stellung der krummen Beinchen.
Mein Dackel war völlig unbeeindruckt, würdigte die Richterin keines Blickes und schaute interessiert in die Runde. Er hatte ja auch eine gute Aussicht auf dem Tisch.
Oje, dachte ich, als die Richterin in anfasste- über den Rücken strich, die Augen genau untersuchte, ob sie keine Rötung zeigten. Als sie sich sein Gebiß anschaute, rümpfte Dörnchen die Nase, ließ es aber zum Glück geschehen. Und dann passierte es! Als die Richterin schaute, ob beide Hoden vorhanden waren , wurde es Dörnchen zu bunt. Das ging ihm entschieden zu weit. Blitzschnell drehte er sich um und biß die Richterin in die Hand. Aus der Traum, dachte ich, jetzt wird er disqualifiziert.
Aber nein, mit schönem bayrischen Dialekt sagte sie: das Burschi is ja ein toller Hecht, gerade die richtige Jagddackelschärfe! Teil eins der Prüfung bestanden!
Nun ging es in den Ring! In flottem Trab drehten wir vor den Augen der kritischen Richter Runde um Runde! Mir ging langsam die Puste aus, aber Dörnchen lief wie am Schürchen. Hoch erhobenen Hauptes, die Dackelohren flatterten und die "Stöpselbeinchen" marschierten wie aufgezogen lief er wie ein alter Profi!
Und dann platze ich vor Stolz, als ich aus dem Lautsprecher hörte: Dackel Dörnchen vom......, vorgeführt von der 1. Vorsitzenden des TSV Giessen und Umg. e.V. , bekommt die Wertung vorzüglich in der Altersklasse Senioren.
Wir liefen noch eine Ehrenrunde, Dörnchen bekam ein Würstchen und ich eine Urkunde und einen Pokal!
Dörnchen lebte mit anderen Senioren in dem "Altenteil" im Tierheim, das Seniorenzimmer. Dort waren Sessel, Körbchen und Kuschelhöhlen.
Er vertrug sich gut mit den anderen Oldies. Aber eine dicke Freundschaft hatte er nicht geschlossen. Das sollte sich ändern, als Dackeline Amanda ins Tierheim kam.
Als Dörnchen die kleine Dickmadame sah, wurde er zum Charmeur. Hoch erhobenen "Hauptes" umschwänzelte er Amanda. Er machte Spielaufforderungen, hüpfte wie ein Welpe und leckte ihr über Dackelgesicht. Das fand sie allerdings zu aufdringlich und verwies ihnen in seine Schranken.
Dörnchen gab nicht auf- und gewann das Herz von Amanda. Fortan waren die beiden unzertrennlich, dackelten zusammen durch das Gelände, schliefen in einem Körbchen, frassen zusammen und genossen ihr Leben. Es war eine so süße Hundeliebe, die unsere Herzen berührte.
Sie lebten noch einige Jahre, waren die erklärten Lieblinge und die kleinen Stars. Dörnchen wurde im Laufe der Jahre zugänglicher und setzte seine Zähnchen nicht mehr so oft ein! Dörnchen verließ uns im stolzen Alter von 15 Jahren.
Lange suchte Amanda ihn, obwohl sie Abschied von Dörnchen nehmen konnte. Sie wurde nie mehr die Alte. Sie wurde still, schlief fiel, wollte nicht mehr spazieren gehen. Sie nahm am Leben nicht mehr teil. Unsere Befürchtung, dass sie uns bald auch verlassen würde, wurde traurige Wahrheit.
Sie bekam ihr kleines Grab neben Dörnchen.
Vergessen werde ich die beiden Dackelchen niemals. Sie gehörten zu meinen Seelentieren, die tief in meinem Herzen sind.