Kapitel 37
Es hat nicht sollen sein- Amalie, geliebt und unvergessen!
Im Sommer 2010 erhielt ich einen Anruf einer Sozialarbeiterin aus dem Raum Wetzlar. Sie betreute eine Familie, deren Haltung und Vermehrung ihrer Katzen völlig aus dem Ruder gelaufen war.
Die Tiere waren völlig verwahrlost, verstört und abgemagert.
Wir wurden gebeten, einige der Katzen aufzunehmen. Eine tierärztliche Betreuung gab es seit Jahren nicht mehr. Ich besprach die Situation mit meiner Tochter. Gemeinsam wollten wir uns um die Katzen kümmern.
Es wurden uns sechs Katzen gebracht. Der Anblick war schwer zu ertragen und der Geruch war unerträglich. Das Fell verknotet, verfilzt, verklebt mit Kot und Urin. Die armen Tiere!
Ich hatte bis zu diesem Tag noch niemals etwas von Curlkatzen gehört und auch niemals mehr solche Rasse zu Gesicht bekommen. Im Internet machte ich mich schlau. Es sind Lockenkatzen- wieder einmal solch Experimente von Züchtern, die neue Rassen kreieren wollen- auf Verdeih und Verderb- egal was sie den Tieren antun. Extravagant musste es sein. Tiere, die sich nicht alleine pflegen können und auf die Hilfe der Menschen angewiesen sind, die darf man nicht züchten. Die Vorbesitzer unserer Zöglinge haben noch Perser eingekreuzt, sodass das Haarkleid noch üppiger wurde. Ein Fell, über dass selbst pflegebewusste Menschen kaum Herr werden. Zwei Katzen konnten ausgekämmt werden, vier Katzen mussten unter Narkose von ihrem verklebten Fell befreit werden. Alle waren schüchtern, apathisch ließen sie alles über sich ergehen. Bei einem Menschen würde man sagen- er hat mit seinem Leben abgeschlossen und sich in sein Schicksal ergeben.
Wir hätten laut heulen können.
Wochenlang haben wir die Tiere betreut, beschmust, ihnen gezeigt, wie schön ein Katzenleben sein kann. Sie lernten zu spielen, sie putzten sich und nahmen langsam Anteil am täglichen Tagesablauf.
Nur Amelie nicht. Sie blieb eine in sich gekehrte, traurige Katze. Sie schien die Streicheleinheiten nicht zu geniesen, sondern über sich ergehen zu lassen. Fünf Katzen fanden ein Zuhause, nachdem sie so stabil waren, zu zuverlässigen Menschen zu ziehen.
Nur Amelie blieb. Sie war die älteste von den Katzen, schien ihre Vergangenheit nicht zu vergessen und konnte kein Vertrauen aufbauen. Sie ließ "ergeben" alles über sich ergehen. Dabei lief auch nach Wochen noch ein leichtes Zittern über ihren Körper, wenn ich sie kämmte. Beim schmusen petzte sie fest die Augen zu, als wolle sie nichts sehen und nicht hören.
Aber ich gab nicht auf. Ich konnte sie mittlerweile auf den Arm nehmen, ohne dass vor Angst ganz klein wurde. Geschnurrt hatte sie bisher noch niemals.
Nach wochenlangen Bemühungen hörte ich eines Morgens ein leises Schnurren und zwei wunderschöne , große Augen schauten mich an. Das Eis war gebrochen, sie hatte sich geöffnet! Sie lag nicht mehr zusammen gerollt im Körbchen, sie schaute morgens erwartungsvoll zur Tür, wenn ich kam.
Und es kam der Tag, da sprang sie aus ihrem Korb , wenn ich im Zimmer war. Und sie flüchtete nie mehr in ihren Korb, wenn Besucher kamen. Sie lief mit den anderen Katzen durchs Zimmer und musste auch nicht mehr separat gefüttert werden. Sie mischte mit, als wäre es nie anders gewesen. Und als sie eines Tages unbeholfen ein Bällchen vor sich her schob, da kamen mir die Tränen. Amelie schien auf dem besten Weg, eine ganz normale Katze zu werden.
Der Tag war gekommen, eine Familie für sie zu suchen. Und diese war schnell gefunden! Ein ruhiges, liebevolles Ehepaar aus Frankfurt besuchte Amelie. Lange hielten sie sich im Katzenzimmer auf. Amelie ließ sich streicheln, ja sogar auf den Arm nehmen.
Sie wollten die Katze adoptieren. Wir führten ein langes Gespräch, sie erfuhren alles über die Vorgeschichte und den langen Weg, bis Amalie Lebensfreude gewonnen hatte.
Es wurde eine Vorkontrolle organisiert und dann kam der Tag des Abschieds. Es war ein warmer, sonniger Tag! Im neuen Zuhause war alles vorbereitet für die Mitbewohnerin. Ich schmuste noch einmal mit meinem Liebling, versprach ihr, sie bald zu besuchen und setzte sie in das Transportkörbchen. Die Kuscheldecke roch nach Katzenminze. Amelie sah mich mit großen Augen an, saß aber ganz ruhig im Korb.
Ich begleitete das Ehepaar noch zum Auto. Die Klimaanlage lief, die Temperatur angenehm im Auto. Und die Fahrt nach Frankfurt ist ja nicht lang.
Ich war traurig, aber meine Aufgabe war es im Tierschutz, für meine Schützlinge ein schönes Zuhause zu suchen.
Sie ist nun eine Einzelprinzessin, bekommt alle Streicheleinheiten für sich. Kratzbaum, Spielsachen, Kuschelkörbe, alles würde sie haben. Und wenn sie wollte, so durfte sie mit im Bett schlafen. Endlich ein schönes Leben für die letzten Jahre der über zehnjärigen Amelie.
Nach ca. 20 Minuten rief die Frau vom Auto aus an. Sie weinte laut und rief: " Die Amelie stirbt, die Amelie stirbt. Wir sind schon auf der Rückfahrt zu Ihnen. Ich glaube, sie atmet nicht mehr. "
Außer mir vor Angst sagte ich nur noch: " Pusten Sie ihr Luft ins Näschen"! Dann rannte ich in die Praxis, wo meine Tochter alles für den Notfall vorbereitete.
Doch das Schicksal hat es anders entschieden. Trotz allen medizinischen Möglichkeiten und Rettungsversuchen starb Amelie. Erschüttert standen wir mit den Tränen in den Augen in der Praxis. Ich höre mich noch heute rufen: "Komm zurück kleine Amelie "!
Das durfte doch nicht war sein! War ich schuldig? Hätte ich Amelie behalten sollen? Aber was ist denn das für ein Leben im Katzenzimmer?
Mit nach Hause hätte ich sie nicht nehmen können. Ich hatte damals fünf Katzen, die niemals ein neues Tier geduldet hätten.
Oder hätte ich es doch versuchen sollen?
Bis zum heutigen Tag habe ich diese süße, kleine und so bescheidene Katze nicht vergessen. Und ich werde sie auch nicht vergessen.
Solche Schicksalschläge sind für Tierschützer schwer zu ertragen und zu verkraften. Und die Frage warum, warum nur- die wird mich immer begleiten.
Ich glaube fest an den Tierhimmel. Und dort ist Amelie frei vor Schmerz und Angst. Und vielleicht denkt sie ja auch noch an die Tieroase Heuchelheim, der erste Ort in ihrem langen Leben, wo sie Ruhe und Geborgenheit erfahren hat.