Kapitel 32
Ein Löwe stirbt – sein Tod rettet Tausenden Tieren das Leben!
Anfang der 1990er Jahre erhielt ich einen Anruf von Amtstierarzt Dr. R. Aus Herborn. Und er war immer für eine Überraschung gut. Er bat um meine Hilfe! Ich traute meinen Ohren nicht, als er von einem Löwen erzählte, der nicht nur schlecht untergebracht war, sondern auch zur Gefahr für die Dorfbewohner wurde.
Als Löwenbaby kaufte es der Halter von einem kleinen Wanderzirkus. Er sperrte das Tierkind in ein kleines Gehege. Wie mit einem Hundchen ging er mit dem „Löwchen“ spazieren, sehr zur Belustigung der Einwohner. Wenn das Kleine fauchte und seine Tatzen hob, fanden das alle süß.Nun war aus dem Baby ein Junglöwe geworden, der zwar immer noch spazieren geführt wurde,aber sein Brüllen war nicht mehr lustig, sondern flößte Angst ein.
Nach Verhandlungen mit dem Veterinäramt war der Besitzer einverstanden, für den Löwen eine artgerechte Unterkunft suchen zu lassen. Die Ordnungsbehörde war froh, dass das Raubtier aus der Gefahrenzone gebracht wurde. Wieder einmal sollte es der Tierschutz richten.
In der Sendung „Herrchen gesucht“ hatte ich die Möglichkeit, mein Anliegen vorzutragen und um ein geeignetes Zuhause für den Löwen zu suchen.Was eigentlich ein „frommer Wunsch“ war, wurde zur Realität. Ein Millionär aus Mallorca meldete sich. Er hatte auf einem riesigen Gelände ein Refugium für Großkatzen geschaffen.Er wollte dem Löwen eine Heimat geben. Allerdings sollte ich mich um den Transport kümmern.
Ich fuhr in den Frankfurter Zoo und bat um Hilfe. Die Zusammensetzung der Betäubung wurde für die Tierheimärztin Frau Rethorn zusammen gestellt. Die sichere Box für den Transport würde man uns ebenfalls zur Verfügung stellen.Mein nächstes Ziel war der Flughafen. Ein sehr netter Herr von Cargo hörte meinem Anliegen aufmerksam zu. Einen Löwen befördern? Und dann noch kostenlos? Ungläubiges Staunen! Er ging aus dem Raum, um diese außergewöhnliche „Beförderung“ mit seinem Team zubesprechen. Mit einem Lächeln kam er zurück mit der schönen Nachricht: ja, wir machen es! Nachdem der logistische Teil der Aktion geklärt war, wurde die Presse und das Fernsehen verständigt. Alles waren höchst interessiert an diesem Vorhaben. Besonders auch auf Mallorca!Wir alle waren aufgeregt, ob alle Vorbereitungen reibungslos funktionieren würden.
Am Abend vor der Aktion bekamen wir einen Anruf. Einen traurigen Anruf! Der Eigentümer des Löwen hatte eine Abschiedspartie für den Löwen mit Freunden gefeiert. Eine junge Frau ging in den Käfig des Löwen und der tut das, was jeder Löwe tut. Er griff die Frau an und verletzte sie. Nicht lebensgefährlich! Es war für diese Person glimpflich abgegangen. Nicht jedoch für denLöwen! Ein Tierarzt wurde gerufen, der den Löwen in seiner Behausung erschoss! Gefahr für Leib und Leben der Menschen- das die Argumentation. Feiernde Menschen im Garten, Löwe seitMonaten in diesem Käfig! Ein Grund, ihn zu erschießen? Das musste sich Herr Dr. Telle fragenlassen. Bis zum heutigen Tag denke ich verachtend an diesen Tierarzt, obwohl er nicht mehr lebt.Allen an dieser „Rettungskation“ beteiligten Menschen wurde abgesagt. Betroffenheit undFassungslosigkeit in unserem Kreis und auf Mallorca. Und große Trauer um ein unschuldiges Tier,was für die Dummheit der Menschen in den Tod befördert wurde.
Nach wenigen Tagen erhielt ich einen Anruf von einer Dame aus Mallorca . Sie stellte sich als Anita Lange vor, die seit Jahren auf der Insel wohnte. Sie trug ihr Anliegen vor. Sie habe von der traurigenGeschichte des Löwen gehört. Sie hatte bisher vergeblich Unterstützung von deutschenTierschutzvereinen gesucht. Auf der Insel gäbe es so viele liebe und soziale kleine Hunde, die kein Zuhause fänden. Sie kämen alle in die Perrera (Tötungsstation in Spanien), wo sie nach wenigenTagen eingeschläfert würden. Sie wüsste, dass in deutschen Tierheimen kaum kleinwüchsige Hunde oder Welpen untergebracht wären, aber Familien, die gerne einen adoptieren würden. Ob der Verein nicht ab und zu ein paar der Hundchen zur Vermittlung aufnehmen würde. Sie selbst würde sie nach Frankfurt fliegen.
Im Vorstand entstand zunächst eine Diskussion. Schließlich stimmte der Vorstand zu. Ein Löwe stirbt, ein Vorstand stimmt der Aufnahme von Hunden aus Mallorca zu- derAuslandstierschutz- heute Europäischer Tierschutz- war geboren.Und so kamen sie , die ersten fünf kleinen Hunde von der Sonneninsel Mallorca! Zur falschen Zeitam falschen Ort geboren, wären auch sie dort eingeschläfert worden. Im kühlen Hessen waren sie herzlich willkommen. Natürlich für die Presse ein Ereignis, was die Leserinnen und Leser interessieren würde und einen ausführlichen Bericht wert war. Der Artikel erschien: IM GIESSENER TIERHEIM WIRD SPANISCH GEBELLT ! Er fand großen Anklang bei der tierlieben Bevölkerung und weckte im Besonderen die Aufmerksamkeit anderer Tierschutzvereine. Die fünf kleinen Spanier hatten viele Interessenten und viele Familien wollten weitere Hunde adoptieren, die bald kommen sollten.
Und dann ging der „shit storm“ los! Leserbriefe füllten die Zeitungen. Auf der einen Seite die Menschen, die den Tierschutz unterstützten, auf der anderen Seite die „kleinkarierten“Bürgermeister der Kreisgemeinden und die Schäferhundzüchter. Diese meinten, wir sollten uns um die Deutschen Schäferhunde kümmern, die von den Züchtern damals in großer Anzahl produziertwurden. Und die Bürgermeister? Sie wollten dem Verein die Zuschüsse streichen! Grund: Veruntreuung von Steuergeldern! Ich war so wütend auf diese Herren! Eine beispiellose Unverschämtheit! Der Verein erledigte all die Arbeit, die eigentlich den Ordnungsämtern der Gemeinden zufielen! Einsammeln der Fundtiere, Aufbewahrung und Versorgung bishin zur Vermittlung. Mit einem lächerlichen Beitrag haben sich die Kommunen frei gekauft von ihren Pflichten. Existiert hat der Verein von Spenden, Erbschaften und Mitgliedsbeiträgen! Und mit diesen Geldern konnte der Verein den Tierschutz gestalten wie er es für richtig hielt, sofern die Mitglieder zustimmten und ein Vorstandsbeschluss vorlag.
Mit „sanften“ Worten habe ich das den Herren Bürgermeistern klar gemachte.Und doch hat es einige Zeit gedauert, bis Ruhe eingekehrt war.
Ich folgte einer Einladung von Tierschützern auf Mallorca und besuchte die Insel, um mir einen Eindruck vor Ort zu beschaffen.Ich lernte dort eine Schweizerin kennen, Beatrice Ederer, die auf der Insel intensiven Tierschutz betrieb.Aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten konnte sie vielen herrenlosen Hunden auf ihrer großen Finca eine Heimat geben, bis sich Interessenten im Ausland gefunden hatten. Uns verband schnell eine innige Freundschaft. Öfter flog ich nach Mallorca, um mit ihrTierschutzmaßnahmen zu tätigen. So manchen Hund haben wir in einer Nacht- und Nebelaktion von ihren Ketten befreit und „entführt“. Die Hunde fristeten an ihren Ketten ein schlimmes Leben. Wind und Wetter ausgesetzt, in heißer Sonne, oft ohne Wasser. Die Ketten waren ins Fleisch eingewachsen. Hilflos lagen sie im Dreck und erwarteten auch von uns nichts Gutes. Denn gute Behandlung waren sie nicht gewohnt.
Wenn die Jagdsaison beendet war, gingen wir mit Herzklopfen in die Gebiete, wo wir die Schüsse gehört hatten. Wir wussten von der traurigen Tradition, Podencos an den Bäumen aufzuknüpfen nach Beendigung der Jagdsaison. Es gab zwei Arten des Aufknüpfens. Die schlecht gejagt hatten nach Meinung ihrer Besitzer, wurden so an den Bäumen am Hals aufgehängt, dass die Hinterfüße noch leicht den Boden berühren und das Strangulieren länger dauert bis zum Tod. Die Podencos, die gute Arbeit geleistet haben, wurden am Hals höher gezogen, bis sie sich durch ihrEigengewicht erdrosselt haben. Eine grausame Tradition, grausam wie der Stierkampf!
Viele Hunde konnten im Laufe der Jahre im Giessener Tierheim zu meiner Zeit als Vorsitzende aufgenommen und vermittelt werden. An zwei Hunde kann ich mich noch sehr gut erinnern. Einen Podencowelpen, den uns Bea selbst ins Tierheim brachte. Er hieß Corazon und war auch ein Herzchen. Im Hof des Geländes wurde er aus der Box geholt. Er sprang in hohen Sprüngen umher und rannte zielstrebig in die Futterküche. Und dann trauten wir unseren Augen nicht. Im Maul hatte er seine große Futterschüssel und rannte zu uns zurück. Er warf scheppernd die Metallschüssel vor unsere Füße, setzte sich auf seinen Popo und schaute uns fragend an als wolle er sagen: los, fülle den Futternapf, ich habe Kohldampf nach der langen Reise. Schnell hatte er ein schönes Zuhause gefunden.
Der zweite, unvergessliche Hund war ein Molloser. namens „Big Man“! Bea und ich hatten ihn in einem verlassenen Grundstück auf Mallorca entdeckt. Zufällig kam der Halter und war froh, den Hund an uns abgeben zu können. Am Tag meiner Abreise machten wir ihn mit der Flugbox vertraut. Wir versuchen ihn mit Leckerchen und guten Worten zu überreden, in die Box zu steigen. Die Zeit wurde knapp. Den Flug wollte ich nicht verpassen. Also gaben wir ihm eine Tablette, die ihn beruhigen sollte. Doch die Beruhigung kam früher als erwartet. Es dauerte nur einegefühlte Minute und unser sanfter Koloss verdrehte die Augen, drehte sich einmal um sich selbstund fiel in Tiefschlaf. Quizfrage? Wie schiebt man 50 kg Lebensgewicht in die Box? Mithilfe von einem schnarchendenHund war nicht zu erwartet.
Also Box wieder in zwei Teile zerlegen, Hund reinlegen, Deckel wieder befestigen und im Eiltempo zu Flughafen. Gerade noch so geschafft. Im Tierheim war Big Man schnell der erklärte Liebling! Ein sanfter, gemütlicher und unglaublich verfressener Hund! Schnell hatte er ein Zuhause gefunden bei Liebhabern der Rasse. Nach ein paar Wochen besuchte uns die Familie mit dem Hund. Wir haben uns sehr gefreut und wollten unseren Gast begrüßen! Aber das war nicht mehr unser Big Man! Ein knurrender undf letschender Riese stand schützend vor seinem Frauchen. Seine Liebe gehörte seinen Menschen, nicht mehr uns. Mir fiel der Sprung ein: der Mohr hat ausgedient, der Mohr kann gehen! Sorry, nach neuem Recht darf man das ja gar nicht mehr sagen- aber es ist ja auch schon lange her!
Leider ist meine liebe Freundin Bea überraschend und viel zu früh gestorben. Ihre Stiftungfür die Tiere wurde nicht so erfüllt, wie sie es wollte. Die Finca ist ohne Hunde und die vielen kastrierten Katzen, die vor der Finca versorgt wurden,sind verschwunden.Die Insel hat für mich viele schöne und viele traurige Erinnerungen, die unvergessen bleiben wie meine Freundin Bea. Auf die Insel werde ich nie mehr fliegen."