Kapitel 39
 
Die unglaubliche und doch wahre Geschichte von Roboto!
 
Im Herbst 2011 nahmen wir den Hundesenior Roboto auf. Er war viele Jahre in Spanien ein Strassenhund. Erfahren im Umgang mit Strassenverkehr und mißtrauisch gegenüber Menschen.
Sein gewohntes Leben nahm ein jähes Ende, da in seinem Revier eine Schnellstrasse gebaut wurde. Er konnte dort nicht bleiben und kam in das Tierheim in Roquetas in Andalusien.
Mein Kontakt zu den dortigen Tierschützern war eng. Sie traten mit der Bitte an mich heran, Roboto aufzunehmen. Auch wenn er schon ca. 10 Jahre alt war- in Deutschland würden wir ein Zuhause für ihn finden.
So kam der Hundeopi mit schon grauen Schnäuzchen bei uns an. Die lange Fahrt, die fremden Menschen und die ungewohnt kalte Temperatur machten ihn ängstlich.
Er wurde gesichert mit Spezialgeschirr und Halsband sowie zwei Leinen. Er war nicht panisch, aber wir sahen deutlich seine Unsicherheit. Die Situation war ihm unheimlich!
Er zog in eine Pflegestelle im -Vogelsberg zu einer ruhigen, jungen Frau mit einem lieben Kind . Das Grundstück war gut gesichert, der kleine Hund gut geschützt im Hof mit der hohen Mauer.
Die ersten Tage durfte er nur unter Aufsicht in den Hof. Die kleinen Spaziergänge schien er zu geniesen. Die Streicheleinheiten, sein warmes Körbchen und das gute Futter genoß er sichtlich.
Das Leben als Streuner und Selbstversorger war vorbei für alle Zeiten. Die junge Frau hatte entschieden, Roboto für immer zu behalten.
Alles schien gut! Dann geschah das Unglück, womit niemand gerechnet hatte. Wie der kleine Hund es geschafft hat und warum er sich entschied, dem betreuten Dasein Lebewohl zu sagen- das werden wir nie erfahren.
Roboto war verschwunden.
Er wurde mal hier, mal dort im Dorf gesehen. Viele Futterstellen wurden eingerichtet. Alle suchten Roboto und meldeten uns die Stellen, wo er sich aufhielt. Besonders der dortige Postbote hatte ein Auge auf ihn.
Roboto wurde der berühmte bunte Hund, den jeder im Dorf kannte.
Viele der Dorfbewohner ließen ihre Tür auf und stellten Futter in den Hof. Man hoffte, dass man die Tür schnell schließen konnte, wenn er fraß. Doch der schlaue Hund war immer schneller und kam erst, wenn keine Menschen in Sicht waren. Und wenn ihm die Situation zu "brenzelig" wurde, zog er weiter.
Mittlerweile war es Winter und eisekalt. Wie hielt das der Rüde nur aus mit seinem kurzen Fell und an milde Temperaturen gewohnt? Wir machten uns große Sorgen.
Eines Tages erhielten wir die Nachricht, dass er sich am Friedhof ein Plätzchen ausgesucht hatte, wo er sich oft aufhielt.
Ein Futterplatz wurde eingerichtet und eine Kiste mit Heu sollte ihm Schutz geben.
Immer wieder sahen wir ihn. Er blieb auch stehen, wenn wir ihn riefen und mit ihm sprachen. Wurde die Distanz zu ihm zu klein, entfernte er sich. Wir waren hilflos und hatten nun die Idee, seine spanische Betreuerin zu verständigen.
Sie kam nach Deutschland und wir waren voller Hoffnung, dass Roboto zu ihr kommen würde und der Spuk ein Ende hatte.
Wir gingen durch das Dorf, riefen ihn. Und als seine Betreuerin spanische Sätze sprach, stand er plötzlich keine zwei Meter vor uns. Lisa hockte sich auf den Boden, sprach spanisch mit ihm und lockte ihn mit Wurst. Er kam immer näher, legte sein Köpfchen schief und lauschte aufmerksam. Lisa konnte ihn schon fast mit der Hand berühren, da rannte er los- zwischen uns durch. Er drehte sich noch einmal zu uns um und sauste davon.
Von diesem Tag an ward er nie mehr in dem Dorf gesehen.
Unsere Suchmeldungen weiteten sich aus. Er wurde immer wieder einmal entdeckt, entfernte sich immer mehr, bis er eines Tages ganz verschwunden war.
Wir waren sicher, dass ihm etwas zugestoßen und er nicht mehr am Leben war. Wir waren sehr traurig und machten uns große Vorwürfe.
Nach einem Jahr erhielten wir einen Anruf vom Tierheim in Bad Wildungen. Sie hätten einen Hund mit einer spanischen Chipnummer, registriert auf die Tieroase Heuchelheim.
Wie ein Blitz fuhr es durch meinen Körper! Das konnte nicht sein- unmöglich. Ich fragte zaghaft: "heißt der Hund" Roboto ?"
Er war es! Wie kam Roboto nach Bad Wildungen?
Ein Jahr war seit dem Verschwinden des Hundes vergangen! Ein ganzes Jahr überlebte der Hund und wanderte vom Vogelsberg nach Bad Wildungen! Wie viele Schutzengel mussten ihn begleitet haben!
Ich fuhr sofort mit Andrea und Jörg nach Bad Wildungen ins Tierheim. Dort erzählte uns die Tierheimleiterin folgende Geschichte.
Roboto lebte bei einem älteren Mann. Eine Mieterin dieses Hauses hatte Roboto ins Tierheim gebracht und behauptet, der Hund würde gequält.
Mit dem Besitzer wurde nicht gesprochen und er bekam den Hund auch nicht zurück. Roboto wurde zum Spielball zwischen Tierheim und Besitzer, der zwischenzeitlich einen Anwalt eingeschaltet hatte.
Doch die Mitarbeiter hatten die "Rechnung ohne Roboto" gemacht. Dieser nutzte die erst beste Gelegenheit, sprang durchs Fenster und lief vom Tierheim quer durch die Stadt zu seinem Herrchen.
Für uns unverständlich, warum die Tierheimmitarbeiter wieder auf diese Hausbewohnerin hörten, die weiterhin behauptete, dass der Hund gequält würde.
Wir ließen uns die Adresse von Robotos Herrchen geben und fuhren zu ihm.
Ein älterer Herr öffnete uns, sah uns mißtrauisch an, bat uns aber dann in die Wohnung. Es war sauber und ordentlich, wenn auch einfach eingerichtet.
Eine warme Hundedecke lag auf der Couch- der Platz des Hundes, der nun verwaist war.
Es dauerte eine Weile, bis der Mann sein Mißtrauen ablegte. Er glaubte uns, dass wir ihm helfen wollten, seinen Hund wieder zu bekommen.
Roboto konnte deutlicher nicht zeigen, wo er hingehörte, als er durchs Fenster floh und zu seinem Herrchen lief.
Der Mann fing an zu erzählen. Wir hörten aufmerksam seiner Lebensgeschiche zu. Jörg, Andrea und ich schauten uns an. Wir alle hatten Tränen in den Augen.
Wie sich das Leben von Roboto und diesem Mann glichen!
Auch dieser Mann hatte ein trauriges und einsames Leben. Er war noch ein Kind, als seine Mutter mit seinen Geschwistern nach der Flucht aus Ostpreußen ihn in ein Heim gab. Seine Brüder fanden schnell Pflegeeltern. Er blieb im Heim, verlor seine Geschwister aus den Augen. Er wurde zum "Wanderpokal", wanderte von einer Pflegefamlie zu anderen. Er hatte kein Vertrauen mehr zu niemanden und nicht in seine Umwelt. Er wurde ein grummeliger Außenseiter. Er wollte mit niemanden mehr etwas zu tun haben nach all den vielen Enttäuschungen, die ihm sein Leben so schwer gemacht hatten. Er wanderte von Ort zu Ort und wurde nirgends heimisch. Er war verbittert und einsam.
Seine Abwechslung im Alltag waren seine täglichen Spaziergänge. Eines Tages fiel ihm ein Hund auf, der ihm in gebührendem Abstand folgte. Drehte er sich um nach dem Tier, blieb es stehen und schaute ihn an. Vor der ausgestreckten Hand wich er zurück. Ging der Mann weiter, setzte sich auch der Hund wieder in Bewegung. Das ging über Wochen so. Der Hund begleitete den Mann jeden Tag, folgte ihm bis zur Haustür und verschwand. Am nächsten Tag stand er wieder vor der Tür, um dem Mann zu folgen. Aus den beiden wurde ein Team mit Distanz.
Er ließ den Hund gewähren, bedrängte ihn nicht, sprach aber immer mit ihm.
Eines Tages lief der Hund nach dem Spaziergang nicht mehr fort. Er legte sich ruhig in eine Hecke vor dem Haus. Wasser und Futter wurde ihm hingestellt. Heimlich beobachtete der Mann ihn, wie er vorsichtig, aber gierig das Futter annahm.
Nach kurzer Zeit ging Roboto gar nicht mehr fort. Er "wohnte" in der Hecke .
Er war aber nicht bereit, sich anfassen zu lassen oder gar mit ins Haus zu gehen. Zwar schaute er traurig zur Tür- aber er blieb zurückhaltend.
Und eines Tages geschah das Wunder! Wie selbstverständlich ging er mit in die Wohnung, schaute sich kurz um, sprang auf die Couch, drehte sich mehrmals ihm Kreis, schnaufte tief, rollte sich zusammen und schlief ein.
Beim Erzählen kämpfte auf der Mann mit den Tränen. Er wollte seine Rührung nicht zeigen!
Wir drei aber schämten uns nicht, ließen den Tränen freien Lauf.
Uns wurde klar, warum Roboto blieb und sich nicht wieder auf die Wanderschaft machte. Dieser Mensch verstand den Hund. Er bemerkte, wenn Roboto Fernweh hatte. Dann öffnete er die Tür und ließ ihn ziehen. Von Zeit zu Zeit wollte dieser Hund frei sein, sein Leben selbst gestalten. Er konnte keine Zwänge vertragen. Und das hatte sein neues Herrchen verstanden. Der Hund war wie er!
Mensch und Hund hatten das gleiche Schicksal, eine gleiche Lebensgeschichte und das Verständnis füreinander.
Beide hatten in früher Kindheit einmal einen Menschen an der Seite, der sich kümmerte.
Sie hatten für eine kurze Zeit Liebe und Fürsorge erfahren. Dann kam der Mann als Kind ins Heim und der Hund landete auf der Strasse.
Beide haben die Härte des Lebens kennen gelernt. Die Einsamkeit, Hunger und Durst, das Gefühl, verloren zu sein.
Beide wurden Vagabunden, mißtrauten jedem und allem, nahmen ihr Leben selbst in die Hand. Ein trauriges und einsames Leben.
Und dieser Hund irrte ein Jahr umher und fand diesen Menschen. Einen Menschen, der ihn verstand und ihn gewähren ließ. Weder Hund noch Mensch konnten Fesseln ertragen.
Und der Lebensweg dieser beiden Sonderlinge kreuzte sich! Ein modernes Wunder! Das Schicksal hatte sie zusammen geführt . Sie wurden ein eingespieltes Team- bis diese Hausbewohnerin auf den Plan kam.
Aber jetzt waren Andrea, Jörg und ich da! Roboto gehörte hierher! Und zwar sofort und ohne jeglichen Widerspruch! Wir fuhren in das Tierheim, erzählten der Tierheimleiterin in kurzen Worten die lange, ungewöhnliche Lebensgeschichte.
Roboto hatte in seiner Not mit einer Katze Freundschaft geschlossen. Die musste er jetzt verlassen! Und los ging die Fahrt in sein Zuhause. Als wüsste er, wohin es ging, stand er hechelnd auf der Rückbank und winselte leise.
Bei der Ankunft stand sein Herrchen schon auf der Strasse und wartete auf uns. Wir stiegen aus, ich hatte Roboto auf dem Arm! Da gab es für ihn kein Halten mehr! Ich setzte ihn ab, er sauste los und sprang auf den Arm seines Herrchens!
Wir schämten uns der Tränen nicht! Das überglückliche Herrchen fiel mir in die Arme! Seine Freudentränen landeten an meinem Hals!
Wir waren so überwältigt, so glücklich, dass ich es mit Worten nicht sagen kann!
Diese rührende Geschichte wurde in mehreren Zeitschriften veröffentlicht. Unzählige Tierfreunde nahmen Anteil an dieser Mensch - Tier - Beziehung.
Noch mehrmals wurde ich von dieser "Dame" angerufen, dass es Roboto schlecht ginge und wir den Hund von diesem bösen Menschen weg holen sollten.
Meine passenden Worte werden dieser Frau nicht gefallen haben.
Roboto ist schon lange im Hundehimmel. Dort kann er von seinem bewegten Leben berichten und von den paar schönen Jahren mit einem so mürrisch wirkenden Mann, der in Wirklichkeit ein Herz aus Gold hat.
 
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