Kapitel 43

Unvergessen- Nemo!

Wir hatte uns wieder einmal Mut gefasst und sind zu dem Labortierhändler S. gefahren. Unser Herz klopfte bis zum Hals- denn die Besuche waren nicht ungefährlich. Je nach Laune dieses groben Menschen verwehrte er uns den Einlass oder bedrohte uns- handgreiflich und mit einer Mistgabel in der Hand.
Wir mussten freundlich sein und ihn bei Laune halten- wir mussten als Bittsteller auftreten, obwohl wir ganz "andere Gelüste" hatten. Doch ein verkehrtes Wort oder nicht auf sein "dummes Gelaber" eingehen, wir wären vom Hof gejagt worden.
Also machten wir gute Miene zum bösen Spiel, taten kameradschaftlich, um unser Ziel zu erreichen.
Wir wollten ihm ein paar Hunde abkaufen. Hunde- die er gesammelt hatte, um sie an Labore zu verkaufen. Stolz erzählte er uns, dass er Kontakt zum Ausland bekommen habe, die Minensuchhunde von ihm kaufen kaufen wollten.
Eine Diskussion um Sinn oder Unsinn von Tierversuchen kam für mich nicht in Frage.
Ich lehne sie bis zum heutigen Tag ab. Fortschritt in der Medizin, in der Pharmaindustrie, bei Militär oder wo immer auf Kosten unserer Mitgeschöpfe- das war für mich noch nie ein Thema.
Und die ablehnende Haltung vieler Wissenschaftler, auf moderne Methoden zu greifen, wie z. B. Zellkulturen, stimmten mich nachdenklich und traurig.
Aber ich will ja von Nemo erzählen. Auch an diesem Tag gelang es uns, einige der Hunde zu kaufen. Es war fast nicht zu ertragen, aus den vollen Zwingern Tiere auszusuchen. Der Händler drängte uns mit den Worten: "jetzt macht schon- ist doch egal, welches Vieh ihr mit nehmt".
Uns "ging das Messer in der Tasche auf" bei diesen verachteten Worten. Rührte es denn gar nicht sein Herz bei dem Gedanken, was diese Hunde erwartete? Sicher nicht, denn diese Tiere waren sein Verdienst, sein Kapital! Und er lebte nicht schlecht davon!
Die Zwinger waren verschmutzt, das Wasser trüb, es stank erbärmlich!
Wir schauten in die traurigen Augen der Hunde, die sich in einer Ecke zusammen kauerten. Ich konnte kaum hinschauen- Wut und Verzweiflung packten mich. Ich musste schnell hier raus.
Wir nahmen die Hunde mit, die besonders auffielen durch ihre Angst, in verwahrlostes Aussehen, deren Hals Wunden zeigten durch eine jahrelange Anbindehaltung.
Am aller- allerschlimmsten war der Moment, wo wir die Tiere aus den Zwingern holten, als alle mit uns gehen wollten und zur geöffneten Tür liefen.
Und wir mussten sie zurück drängen und die Tür schließen.
Wir kämpften mit den Tränen, während dieser Mensch höhnisch grinzte und sich an unserer Verzweiflung ergötzte.
Als wir die Hunde in den Auto hatten und wegfahren wollten, kam dieser Widerling noch einmal zu uns mit den Worten:
"Ich habe da noch einen Krüppel, wenn ihr den nicht mitnehmt, erschage ich ihn noch heute ! "
Er stampfte zu einem Verschlag, indem ein Schäferhundmischling saß, der uns böse anschaute und die Zähne fletschte.
"Den habe ich schon "windelweich" geprügelt- das Aas! Wem soll ich das Drecksvieh denn verkaufen! Für den ist eine Kugel noch zu schade!"
Wir schauten uns an und nickten uns zu! Wir hatten immer eine Transportbox im Auto. Die würden wir jetzt benötigen. Mit einer Schlinge zogen wir den wild um sich beißenden Hund aus seinem Verschlag und schafften es, ihn in die Box zu "buggsieren"!
Und nun schnell weg!
Er erhielt den Namen Nemo.
Ihn von der Box in einen Zwinger zu setzen, war nicht einfach, doch mit Futter gelang es.
Wir fanden für alle Hunde schnell ein schönes und geeignetes Zuhause bei geduldigen und erfahrenen Menschen.
Nur Nemo blieb! An eine Vermittlung war nicht zu denken! Er blieb unnahbar und mißtrauisch.
Er fand eine Patin, die langsam sein Vertrauen gewann und mit ihm spazieren gehen konnte. Aber nur mit Maulkorb!
Nemo war ein intelligenter Hund. Er ließ sich anstandslos einen Maulkorb anlegen, auch für einen notwendigen Tiearztbesuch!
Uns war allen klar, Nemo würde sein Verhalten nicht ändern. Er musste schon so viel Schlimmes erlebt haben, dass in seinem Herzen kein Platz für Menschen war.
Das Personal im Tierheim hatte Zugang zu ihm, was die Versorgung von Nemo einfach machte.
Da er aufmerksam, wachsam und Fremden gegenüber angriffslustig war, sollte er im Tierheim als Wachhund bleiben.
Er würde einen guten Job machen und verhindern, dass Fremde auf dem Gelände Unfug trieben. Da er von ihm unbekannten Personen kein Futter nahm, bestand keine Gefahr, dass er von evtl. Eindringlingen ins Tierheim vergiftet wurde.
Nemo gesellte sich zu dem "lebenden Inventar" des Tierheimes.
Er kannte den Tagesablauf des Tierheims und wusste genau, wann seine "Arbeitszeit" begann.
Der Eingangsbereich des Tierheimes war sein Arbeitsplatz! Den durfte er erst betreten, wenn alle Besucher, Ehrenamtliche und Vorstandsmitglieder nicht mehr in seinem Revier waren.
Es war eine Freude zu sehen, wie ernst er seine Aufgabe nahm. Er patrollierte das Gelände sorgfältig. Hinter jedem Busch schaute er, ob alles in Ordnung war, mehrmals lief er am Zaun entlang und war erst zufrieden und ruhig, wenn er keine Auffälligkeiten entdeckt hatte. Dann legte er sich in seinen Zwinger im Hof, immer den Eingansbereich im Auge und bereit, Ordnung zu schaffen.
Kein Fremder, wie in der Vergangenheit schon geschehen, würde das Gelände betreten! Nemo würde ihn stellen, sollte es sich jemand wagen. Und es ist auch nie mehr geschehen, dass Fremde ihr Unwesen treiben wollten.
Eines Abends rief mich Frau Rethorn an, sie müsse dringend ins Tiereheim , sie habe etwas Wichtiges im Büro vergessen, was sie sofort benötigte. Sie bat mich, sie zu begleiten. Denn ausgerechnet an diesem Wochenende war das Tierheim unbesetzt.
Wir würden also alleine sein mit Nemo!
Ganz wohl war uns nicht, als wir das Tierheimgelände betreten wollten. Denn Nemo stand hinter der Tür, den Schwanz hoch erhoben, die Ohren aufgestellt, die Nase rümpfend. Ein tiefes Grollen kam aus seiner Kehle!
Frau Rethorn und ich sprachen uns gegenseitig Mut zu! Nemo war verfressen- und wir waren voll gepackt mit Leckerchen. Genügend, um bis ins Büro zu kommen und genügend, um sicher wieder zum Tor zu kommen. Wir konnten von Glück sprechen, dass Nemo uns kannte- wenn auch nicht als Freunde akzeptierte. So nahm er die Leckerchen gierig an- die er von Fremden verweigert hätte!
Beruhigend und liebevoll sprachen wir mit Nemo und reichten ihm die Leckerchen. Dicht lief er neben uns, schaute immer auf die Hand und ließ es sich schmecken.
Uff, wir waren im Büro, Frau Rethorn nahm ihre Papiere, die sie so dringend benötigte, und wir traten den Rückweg an. Nemo stand vor der Tür, beobachtete uns mit mißtrauischen Blicken. Aber die Leckerchen stimmten ihn friedlich und er begleitete uns kauend bis zum Tor.
Das Abenteuer hatten wir überstanden! Wir verabschiedete uns und jeder stieg in sein Auto. Ich hatte schon den Rückwärtsgang eingeschaltet und wollte los fahren, als Frau Rethor aus dem Auto sprang und aufgeregt winkte und schrie: "Im Büro liegt mein Autoschlüssel!"
So ist sie- dachte ich nur und fing an zu lachen!
Keine Leckerchen, kein Zutritt zum Tierheim möglich, ein brummender Nemo hinter dem Tor!
Jetzt war guter Rat teuer, Frau Rethorn musste schnell nach Hause! "Ich fahre Sie"- doch sie lehnte ab! Ich brauche morgen früh mein Auto!
Der Grieche- schoss uns gleichzeitig durch den Kopf!
Wir gingen die paar Meter zum dem griechischen Lokol und trugen unser Anliegen vor. Wir müssen ins Tierheim, aber da läuft unser Wachhund und wir können nicht rein! Wir benötigen ein leckeres Stück Fleisch- oder besser mehrere.
Du liebe Zeit, war das blamabel! Die 1. und 2. Vorsitzende können nicht in ihr Tierheim , weil ein Hund dort läuft!
Die Kellner und der nette Besitzer mussten lachen und gaben uns eine Tüte Fleischbrocken.
Mit diesen bewaffnet marschierten wir zurück zum Tierheim! Nemo tat das, was er immer tat! Er "erwartete" bellend und knurrend die Menschen, die nach seiner Meinung um diese Uhrzeit nichts im Gelände verloren hatten.
Doch mit dem Geruch des duftenden Fleisches ließ er sich überreden und gestattete den Einlass.
Wir lockten ihn bis zu seinem Zwinger, warfen die ganze Tüte hinein und schlossen schnell die Tür. Diese in seinen Augen listige Aktion hat er us übringens nie verziehen!
Wir sind nie Freunde geworden- dennoch mochte ich diesen Hund mit Charakter! Nemo- er hat ein Stückchen Tierheimgeschichte geschrieben.

 

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