Kapitel 48 B
 
Die Autofahrt von Heuchelheim bis zu dem Lokal an der Lahn erschien uns unendlich lang!
Endlich angekommen, wurden wir schon von einer Kellnerin erwartet. Von unserem Hund keine Spur! Auch auf mein Rufen "Jolly, Jolly" passierte nichts. Lächelnd deutete die nette Angestellte auf eine Tür, vor der Jolly lag! Sie würdigte uns keines Blíckes- schaute zu anderen Seite und machte ihr berühmtes "Grummelgesicht"! Glücklich hob ich sie hoch! Sie war nass, zitterte wie Espellaub und an ihren langen Haaren hingen Eiszapfen. Sie konnte kaum die Augen aufhalten, denn an den langen Wimpern war auch Eis, wie auch an den Barthaaren. Jolly starrte mich an als wollte sie sagen: Wo wart Ihr denn, wieso habt Ihr mich in der Kälte alleine gelassen!"
Wie kam dieser Hund auf die andere Seite der Lahn? Es gab nur eine Erklärung! Sie muss die stellenweise zugefrorenen Lahn überquert und auf die Wißmarer Strasse gelaufen sein.
Zielsicher war sie in die richtige Richtung gelaufen, wollte sicherlich auf dem Weg an den Bahnschienen zum Oswaldsgarten, über die Brücke Richtung Heuchelheim nach Hause laufen.
Von Spaziergängen kannte sie die Richtung. Zum Glück wurde sie vorher aufgegriffen.
Ich hatte meinen Liebling wieder- wenn auch als Eiszapfen. Die besorgte Kellnerin hatte ein Stück Wurst in der Hand. Da Jolly gelernt hatte, von Fremden nichts zu nehmen, hatte die junge Frau vergeblich versucht, mit dem Leckerchen Jolly ins Haus zu locken. Fest eingewickelt auf meinem Arm, schnappte sie sich jetzt den leckeren Bissen, schluckte ihn schnell herunter und---biss die junge Frau leicht in die Hand.
Doch diese nahm es mit Humor! Typisch Jolly! Alle Welt war für ihre missliche Lage verantworlich, das musste bestraft werden.
Wir bedankten uns, gaben einen Betrag in die Kellnerkasse und fuhren schnell nach Hause. Unter der warmen Dusche wurde Jolly "aufgetaut" und in warme Tüchter gewickel. Sie lag, mit noch immer vorwurfsvollen Blick, in ihrem Körbchen an der Heizung. Sie bekam vorsorglich von Nicole noch eine Spritze! Sie hat sich unbeschadet von ihrem eisigen Abenteuer erholt. Gelernt hat sie nichts, dann das "Abhauen" schien in ihren Genen zu liegen. Sie war ein aufregender Hund- geliebt von uns und allen, die sie kannten.
 
Kapitel 49
 
Der Urlaub nach Spanien war in Planung. Wir lieben Spanien, die abwechslungsreiche Landschaft, die kleinen, gemütlichen Ortschaften, die vielen Wandermöglichkeiten und natürlich das Meer. Der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung ist lustig und schön.
Gastfreundliche Menschen, stets zu einem Schwätzchen aufgelegt. Und trotzdem kommen immer wieder die Kummerfalten, wenn ich an die vielen, notleidenden Tiere denke. Herumstreunende Hunde und Katzen auf der Suche nach etwas Futter, oftmals verletzt und krank.
Esel und Pferde, die viel zu schwer arbeiten mussten, Schafe mit zusammen gebundenen Füßen. Das alles passt so gar nicht zu den freundlichen Spaniern, die mit der Sonne um die Wette lachen, fröhlich und unbeschwert sind. Sie lieben Musik, Tanz und das gemütliche Zusammensein. Die Gastfreundschaft wird groß geschrieben und ihre Unbeschwertheit ist ansteckend .
Unser Reiseziel war Roquetas bei Almeria. Dort war ein Tierheim, dessen Gründung wir mit erlebt hatten und finanziell von uns unterstützt wurde. Wir hatten Freunde gefunden und schöne Stunden miteinander erlebt. Darauf freuten wir uns.
Jeder Tag war ein Genuss, das Wetter Balsam für die Seele, die Wanderungen und Besichtigungen ein Erlebnis. Zwei Wochen Erholung warteten auf uns. Die Zeit ging viel zu schnell vorbei.
Einen Tag vor der Heimreise wollten wir noch einen Ausflug machen. Ein abwechslungsreiches Stück Fahrt lag vor uns. Es wurde ein herrlicher Tag!
Auf der Heimfahrt waren wir gut gelaunt und freuten uns auf den Abend mit unseren Freunden. Hier sollte der Urlaub fröhlich ausklingen.
Kurz vor unserer Ankunft in der Ferienwohnung, wir wollten gerade von der Autobahn abbiegen, sah ich einen kleinen Hund am Fahrbahnrand laufen.
Mein Mann kannte meine Reaktion schon und hielt verkehrswidrig am Fahrbahnrand an. Der kleine und schmutzige Hund trottete stereotyp weiter, warf keinen Blick auf uns. Wir fuhren neben dem Tierchen her, die Warnblinklichtanlage eingeschaltet!
Plötzlich setzte sich das Tierchen ermattet hin. Schnell sprang ich aus dem Auto und schnappte das kleine, stinkende Fellbündel. Obwohl das Hundchen sich sehr erschrak, schnappte es nicht.
Auf der Weiterfahrt, die Kleine auf meinem Schoß, fiel mir sofort auf, wie rappeldünn sie war und fürchterlich stank. Ein Gemisch aus Öl und Abfall.
Das Hundemädchen sah mich mit riesigen Angstaugen an und zitterte die ganz Fahrt. Wir fuhren sie ins Tierheim in Roquetas.
Es war klar, wir würden sie adoptieren, wenn sie nach Deutschland reisen konnte. Ich taufte sie auf den Namen Coco, obwohl ihr barbarischer Geruch Coco Chanel die Tränen in die Augen getrieben hätten!
Natürlich war Coco ein Thema unserer abendlichen Abschiedsparty!
Schon sechs Wochen später kam sie in Deutschland an. Ich habe sie kaum wieder erkennt, sie war geschoren und sah aus wie ein Glatthaardackel!
Sie war noch immer sehr mager, aber ihr Gesichtsausdruck ließ ahnen, dass dieses kleine Wesen es faustdick hinter den Ohren hatte.
Was wohl Jolly, das Pendant in schwarz, zu dem Neuankömmling sagen würde? Und unsere Katzen? Würde Jolly Stress machen?
Auf der Heimfahrt vom Flughafen saß die kleine Lady auf meinem Schoss, schaute aus dem Fenster und tat so, als sei das alles alltäglich.
Zuhause angekommen, war ich angespannt! Doch die Zusammenführung verlief völlig harmonisch. Die Hunde begrüßten sich und unsere Katzen, an Hunde gewöhnt, beschnupperten den Neuankömmling freundlich , wenn auch aufgeregt mit heftig wedelntem Schwanz- was ihre Anspannung signalisierte.
Wir unternahmen mit den Hunden einen Spaziergang, damit der friedliche, erste Kontakt gefestigt würde. Es war eine Freude zu beobachten, wie die beiden Mädels liebevoll miteinander umgingen.
Es ist eine Bereicherung im Leben, wenn Tiere zur Familie gehören und den Alltag bunt gestalten. Wenn Hunde und Katzen Freunde sind und allerlei Blödsinn miteinander veranstalten, kann der Fernseher ausbleiben!
Coco und Jolly, das schwarz/weiße und deutsch/spanische Gespann war einfach ein Hit. Bei Spaziergängen blieben die Menschen oft stehen und amüsierten sich über die beiden Fellknäuel.
Besonders dann, wenn irgendwo eine Pfütze war und die zwei Ladys ein Schlammbad nahmen. Und sie fanden auch im Sommer in der Trockenzeit noch ein modriges Nass, indem sie sich suhlen konnten. Farblich waren sie dann kaum noch zu unterscheiden. Meine "Luxushündchen" waren dann Erdferkel!
Viele Jahre machten uns die beiden Hunde große Freude! Jeder amüsierte sich über ihre Balgereien und lustigen Spielchen! Wie Profis konnten sie sich gegenseitig einen Ball zuspielen, verteidigen und sogar gemeinsam im Mäulchen umhertragen. Ins kleinste Körbchen passten sie, rollten sich zu einer Kugel zusammen und kuschelten.
Bei Spaziergängen waren sie ein eingespieltes Team! Sie verständigten sich mit den Augen , schienen eine Geheimsprache zu kennen- und als hätte man auf einen Knopf gedrückt, rannten sie gemeinsam in eine Richtung davon und kamen oft nach einer langen Wartezeit zurück.
Oft konnte man sie kaum erkennen, so voller Stöckchen, Tannennadeln und Schmutz waren sie. Sie fanden immer eine Gelegenheit, voller Unrat zurück zu kommen.
Es waren oftmals aufregende Spaziergänge, die aber trotz Stress und Unruhe viel Freude bereiteten.
Zwei glückliche Hunde genossen ihr Leben, wurden verwöhnt und hatten viele Freiheiten. Manchmal von uns nicht gewünscht, die zwei Racker nahmen sich, was sie für richtig hielten! Sie waren ein unschlagbares Team- ein Dreamteam!
Doch dies sollte sich eines Tage unerwartet und überraschend ändern.
Ich hörte ihm Garten laute Geräusche von zwei sich wild beißenden Hunden. Ich stürzte aus dem Haus in der Annahme, ein fremder Hund sei auf unser Grundstück eingedrungen. Ich sah zunächst nichts, ging den Angst machenden Tönen nach.
Ich traute meinen Augen nicht und konnte es nicht glauben! Coco und Jolly waren ein wüster Haufen ineinander verbissene Hunde. Ich rannte zu den Kampfhähnen und versuchte sie zu trennen! Es gelang mir nicht- einer hatte sich im Fell des anderen fest gebissen. Ich war alleine im Haus und musste diese schlimme Situation in den Griff bekommen.
Mit den Händen kann man nicht dazwischen gehen. Man würde im Eifer des Gefechtes selbst gebissen. Ich holte schnell einen Besen. Erst nach einiger Zeit gelang es mit, die Hunde zu trennen. Coco verbiss sich in den Besen und der Winzling schüttelte den "Feind" hin und her, gab Töne von sich wie eine Dampfmaschine! Ehe Coco sich erneut in den Kampf stürzte, schnappte ich sie und trug sie ins Haus.
Erst als mein Mann nach Hause kam versuchten wir, die Hunde wieder zusammen zu lassen. Zwar trauten sie sich nicht, erneut aufeinander los zu gehen. Aber die Anspannung war spürbar!
Das schöne und friedliche Leben war vorbei. Aus dicken Freunden waren Feinde geworden. Wir konnten die Hunde nicht mehr alleine lassen. Nur noch gemeinsame Spaziergänge waren möglich. Aber auch hier war die Unbeschertheit vorbei.
Die Hunde beobachteten sich- und wenn einer anfing, den anderen zu fixieren, mussten wir schnell eingreifen. Wir nahmen beide an die Leine, um Unheil abzuwenden. Ruhig aber bestimmt mit fester Stimme sprachen wir auf sie ein, bis sich die Situation entspannte. Wir waren über diese Entwicklung sehr traurig. Coco war der unterlegene Hund. Sie wurde stiller, verlor ihre Unbeschwertheit und ihr keckes Wesen.
Oft saß sie auf der Couch und "schaute in die Ferne"! Wir hatten den Eindruck, sie überlegte und dachte an ihr vergangenes Leben.
Sie hatte in Spanien mit Sicherheit nie ein sorgloses Leben. Als kleiner Selbstversorger hatte sie harte Zeiten hinter sich. Wir haben sie verwöhnt, in eine intakte Tierfamilie geholt - und nun dieser Stimmungsumschwung.
Eine Feindschaft zwischen Hündinnen ist kaum zu reparieren. Zumal dann nicht, wenn die Tiere gleich alt und gleich groß sind.
Was war nur in meine friedliche Jolly gefahren? Wir hatten keine Erklärung.
Doch diese sollten wir schnell erfahren.
Wir saßen am Frühstückstisch, als Coco unruhig wurde- ein auffallendes Verhalten. Völlig unterschiedlich wie vor einem Streit mit Jolly. Sie lief hechelnd hin und her, Speichel tropfte aus ihrem Mäulchen.
Sie wird doch nicht.............. Ich brachte Jolly schnell in ein anderes Zimmer! Und dann geschah es- Coco hatte einen Krampfanfall!
In nur wenigen Minuten war meine Tochter da und ihr gelang es, Coco aus dem Krampf zu holen. Nun wurde uns klar, warum das traute Miteinander der Hunde vorbei war.
Für uns nicht wahrnehmbar, aber für Jolly zu erkennen und spürbar- Coco war krank und roch anders. Coco war für Jolly nicht mehr der Freund, der sie jahrelang kannte. Wie traurig!
Noch ein Jahr lebte Coco, eingestellt auf Medikamente. Ich passte sehr auf, dass es keinen Konflikt mehr gab zwischen den Hunden. Oft habe ich Jolly weg gesperren müssen, um jede Situation zu vermeiden, die zum Angriff führte.
An einem schönen Sommertag packte ich Coco, Jolly und Nicoles Hund Wilma ins Auto. Wir wollten einen gemütlichen Spaziergang unternehmen. Wilma war der ruhende Pol, sie war eine Friedensstifterin.
Ich holte die Hunde aus dem Auto- doch es kam zu keinem Spaziergang mehr. Sofort erkannte ich, dass ein Anfall anbahnte. Eine kurze Unruhe, dann fiel Coco um. Es war der schwerste Anfall, den ich erlebt hatte.
Ich war nur wenige Autominuten von der Praxis entfernt. Per Handy hatte ich meine Tochter verständigt. Alles war in der Praxis vorbereitet.
Doch es gelang nicht, Coco aus dem Krampf zu holen. Nach einigen Minuten sagte meine Tochter leise und traurig:" Mutti, lass sie gehen. Es sind zu viele Zellen im Hirn zerstört ".
In meinem Kopf spulte sich im Zeitraffer ab , wie wir Coco gefunden hatten, welch schöne Zeit wir mit ihr verbracht hatten. Jetzt lag auf dem Tisch ein Hundchen, hart wie ein Stein und ich musste die Entscheidung treffen. Hier hieß es: Kopf über Herz! Ich nickte meiner Tochter zu. Meine Coco war nicht mehr.
Ich nahm sie mit nach Hause, legte sie auf ihre Kuscheldecke und ließ unsere Tiere von ihr Abschied nehmen.
Und Jolly? Sie zeigte sich freundlich wie früher- schnupperte lange an der toten Coco , stupste sie an! Nie ging mir das Bild aus dem Kopf, wie Jolly ihr Pfötchen auf Cocos Köpf legte. Mir erschien es, als wolle sie um Verzeihung bitten.
Die Katzen waren nach kurzer Zeit wieder gegangen. Jolly aber legte sich neben Coco, als wolle sie Frieden schließen.
Wir heulten alle!
Ich verachte alle Menschen, die Tieren Gefühle absprechen! Auch wenn sie nichts sagen können, ihre stille Sprache sagt mehr als Tausend Worte!
Jolly war noch einige Jahre bei uns. Sie war- wie alle Tiere auf ihre eigene Art- etwas Besonderes! Wie oft haben wir gesagt: " Dieser kleine Hund ist mit Abitur geboren!"
Wir beschlossen, Jolly sollte unser letzter Hund in unserem Leben sein.
Und so ist es bis heute geblieben.


 
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